Unsere Einführungsrunde hat schon zu Beginn aufgezeigt, dass die Herangehensweise an Glaube und Religion sehr unterschiedlich ist. Für manche ist der Glaube etwas rein Individuelles, für andere hingegen hat ein Glaube isoliert, für einen Menschen allein, überhaupt keinen Wert. Auch der Unterschied zwischen Glaube und Religion wurde unterstrichen. Die Frage, wie man zu einem Glauben kommt interessierte ebenfalls: Glaube setzt ja schließlich voraus, dass man bereit ist etwas zu glauben, was andere sagen, und beruht in der Regel nicht auf eigene Erfahrungen. Gibt es für die Aneignung eines Glaubens eigene Techniken. Atheisten und Agnostiker zeigten sich naturgemäß besonders skeptisch gegenüber allem, was mit Glaube und Religion zu tun hat. Kann der Glaube einer vernunftbezogenen Prüfung Stand halten? Kann Vernunft den Glauben tragen? Wenn man eine Prüfung des Glaubens ernsthaft angehen will, gilt es diese mit offenem Ausgang zu führen, womit sich gläubige Menschen sicherlich schwer tun.
Ida Rabensteiner erzählte uns zuallererst ihre Glaubens- und Lebensgeschichte. Sie ist in einer katholischen Familie und überhaupt in einem katholischen Milieu aufgewachsen. Glaube war für sie wichtig und sie hat ihn sich auch gut in der Jugend- und Studienzeit erhalten. Nach ihrem Veterinärstudium, als sie ihre Arbeit als Tierärztin im Ahrntal aufgenommen hatte, geriet sie nach einigen Jahren in eine Sinnkrise. Dies hatte nicht unwesentlich mit ihren Berufs- und Arbeitserfahrungen zu tun. Die Arbeitsanforderungen an eine Tierärztin empfand sie als sehr hoch und sie hatte oft den Eindruck, dass ihr Tag nur mehr aus Arbeiten, Essen und Schlafen bestand. Aber es gab auch einige inhaltliche Dinge im Zusammenhang mit Tierzucht- und –medizin, die sie mit ihren ethischen Vorstellungen nicht in Einklang bringen konnte. Sie suchte daraufhin immer mehr Zuflucht in der Religion: im Bibellesen, im Studieren der Kirchengeschichte, der Theologie und der Philosophie. Mit dem absolvierten Theologiestudium taten sich für sie dann auch neue berufliche Möglichkeiten auf. Sie übernahm eine Stelle für Religionsunterricht in der Schule und wollte sich damit vorerst einmal auf Probe von ihrem Tierarztberuf verabschieden; dieser Abschied wurde dann aber schon bald definitiv.
Sie erzählte uns, dass die Schüler in der Oberschule heute äußerst kritisch in Bezug auf Glaubens- und Religionsfragen sind. Agnostizismus ist bereits unter den Schülern sehr häufig vertreten. Auch die Frage, ob ein katholischer Religionsunterricht in den Schulen heute noch zeitgemäß ist, wird immer häufiger gestellt. Für so manchen Schüler gäbe ein Ethikunterricht oder Religionsgeschichte (aber nicht nur des Katholizismus, sondern aller größeren und maßgeblichen Religionen auf unserer Welt) mehr Sinn.
Nun, es sind genau die grundlegenden Glaubensfragen, mit denen sich Ida besonders gerne auseinandersetzt. Was hat es für einen Sinn an Gott zu glauben? Ida sagt, dass der Versuch die Existenz Gottes beweisen zu wollen nicht sehr zielführend ist. All zu oft ist es in der Geschichte bereits passiert, dass Glaubensmenschen (Religionswissenschaftler und Theologen) mit Gottesbeweisen versuchten die Thesen von Atheisten zu widerlegen. Man musste sich aber auch immer wieder eingestehen, dass all diese Beweisführungen keine Klarheiten liefern konnten. Es kann eigentlich nur eines mit Gewissheit gesagt werden, nämlich dass man weder die Existenz noch die Nichtexistenz Gottes mit Sicherheit belegen kann. Für Ida gibt es aber gute Gründe, an Gott zu glauben, und darum geht es letztendlich.
Diesen Begegnungen zwischen Atheismus, Agnostizismus und Theologie sowie der großen ethischen Fragestellung widmete sie sich schließlich auch in ihrer Dissertation.
Ihre Religiösität lebt Ida Rabensteiner in täglichem Beten und Bibellesen, wodurch sie ihre Beziehung zu Gott lebendig hält. Es ist aber auch wichtig, dass sich der Glaube eines Menschen in seinem Lebensstil niederschlägt (für sie war es z.B. nicht mehr möglich, den Tierarztberuf auszuüben und Dinge zu tun, die sie aus ethischer Sicht nicht vertreten konnte). Anderen Menschen helfen ist eine weitere Möglichkeit Glauben zu leben; es sind sehr schöne Erlebnisse, wenn Hilfe gelingt, aber auch wenn einem selbst geholfen werden kann.
Christentum äußert sich heute in verschiedensten Formen, aber nicht mit jeder kann sie sich anfreunden. So unterscheidet sie zwischen überzeugten Christen und Taufscheinchristen, Traditionschristen, Sonntagschristen usw.
Ida ist überzeugt, dass sich Gott ihr offenbart hat. Dabei haben Erlebnisse, die sich in ihrem persönlichen Umfeld ereignet haben eine nicht unerhebliche Rolle gespielt. Ein Onkel von ihr ist mit 18 Jahren gestorben. Dieses Ableben eines ihr nahe stehenden und noch so jungen Menschen hat sie sehr stark beschäftigt und hat in ihr Fragen aufgeworfen, auf die sie nur über den Glauben Antworten gefunden hat.
In der Diskussion drehten sich dann viele Fragen um das Thema Ethik, Religion und Weltgeschehen.
Rabensteiner wurde mit der Tatsache konfrontiert, dass es sehr unterschiedliche religiöse Vorstellungen unter den Menschen gibt. Für so manchen Diskussionsteilnehmer sind Glaubenssachen sowieso etwas völlig Persönliches und Individuelles. Aber auch auf höherer Ebene, unter den großen Religionen gibt es völlig unüberwindbare Unterschiede in den Glaubensvorstellungen. Denken wir an das Christentum, den Islam, den Buddhismus oder an den Konfuzianismus. Damit nicht genug, innerhalb dieser religiösen Hauptausrichtungen gibt es noch einmal jede Menge unterschiedlicher Strömungen, die genauso wenig vereinbar sind. Im Christentum z.B. gibt es zahlreiche verschiedene Kirchen; es wird zwar viel von Ökumene gesprochen, aber konkret tut sich sehr wenig in Richtung Vereinigung der Christenheit. Dieses Verharren in den Unterschiedlichkeiten lässt die Religionen nicht unbedingt in einem guten Licht dastehen. Sie ermöglichen u.a. auch die Instrumentalisierung ganzer Religionsgemeinschaften für verschiedenste politische Interessen bis hin zum Krieg. Dafür sind jede Menge Beispiele in der Geschichte und auch in der Gegenwart zu finden. Solange diese religiösen Unterschiedlichkeiten so stark betont werden, wird dies ganz sicherlich nicht zu mehr Frieden auf der Welt beitragen. Im Gegenteil, oft verbindet sich damit noch ein unbeugsamer Fundamentalismus und Radikalismus, so dass Konflikte sich erst richtig zuspitzen und kaum mehr lösbar sind. In dieser Hinsicht erscheint eine gewisse kritische Distanz zu den Religionen wohl angebracht.
Ida Rabensteiner weiß von den Unterschieden zwischen den Religionen. Diese sind nicht leicht überwindbar. Sie selbst kann z.B. nur sehr wenig mit pantheistischen Vorstellungen oder dem Glauben an die Wiedergeburt anfangen. Oft spielen natürlich auch allgemeine kulturelle, völkische Unterschiede mit hinein, die aber ebenfalls eine große Bedeutung im religiösen Leben der Menschen einnehmen. Damit sind wir also bei der gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Komponente der Religionen angelangt, die für Ida eine ganz wichtige und zentrale Rolle spielt. Glaubenseinstellungen auf eine rein individuelle Ebene herunter gebrochen haben nichts mit Religion zu tun. Erst wenn mehr Menschen in gewissen Glaubensfragen zueinander finden, kann von Religion gesprochen werden. Auch die zahlreichen ethischen Vorstellungen, die mit den Religionen gekoppelt sind, hätten ohne diese Komponente keinen Sinn.
Damit war der nächste Themenkreis auf dem Tisch: Religion und Ethik. Wie stehen Ethik und Religion, aber auch Ethik und Atheismus oder Agnostizismus zueinander? Tun sich religiöse Menschen leichter, ein ethisches Leben zu führen? Gibt es für Atheisten überhaupt einen Grund ethische Grundsätze zu befolgen?
Für Ida Rabensteiner fällt es religiösen Menschen leichter, ethisch zu leben, da sie durch ihren Glauben in der Hoffnung auf eine bessere Welt und im Vertrauen auf das Gute im Menschen bestärkt werden.
Dazu gab es nicht nur ungeteilte Zustimmung. Atheisten und Agnostikern kann nicht einfach abgesprochen werden, dass sie auch an die Menschheit oder an eine bessere Welt imstande sind zu glauben. Religiöse Vorstellungen spielen dabei keine Rolle. Es gibt eine Reihe verschiedener Hilfsorganisationen, die von laizistischen Kräften oder Bewegungen aufgebaut worden sind und heute noch geführt werden. Auch in der Öko- und Umweltbewegung ist die laizistische Komponente äußerst wichtig, wenn nicht sogar tonangebend.
Zum Thema Ethik und Religion gab es noch einige weitere interessante Meldungen:
Es wurden z.B. folgende Fragen aufgeworfen: wo bleiben denn die ethisch wirkenden Kräfte der Religionen, angesichts der großen Probleme und Missstände auf der Welt (große soziale Ungleichgewichte und Ungerechtigkeiten, Kriege, Wirtschaftskrisen, Hungersnöte usw.)? Es gibt ca. zwei Milliarden Christen auf der Welt, aber wird deren Stimme überhaupt gehört? Welche ethische Wirkung hat das Christentum? Oder überhaupt die Religionen?
Auch andere Positionen wurden geäußert, die vielleicht etwas materialistisch erscheinen mögen, denen aber möglicherweise wohl auch etwas Wahres zugrunde liegt:
Nur der Mensch, dessen Grundbedürfnisse abgedeckt sind, kann es sich leisten, nach ethischen Grundsätzen zu leben. Der beste Friedensgarant sei deshalb, den Menschen einen gewissen Wohlstand zu garantieren. Fehlt dem Menschen nämlich die Basis für ein würdiges Leben, dann geht es mit der Ethik bald bergab.
(In diesem Zusammenhang möchte ich nur kurz darauf hingewiesen, dass umgekehrt auch in Zeiten des Wohlstandes und vor allem bei Leuten, die sehr viel besitzen, ethisches Verhalten nicht immer im Vordergrund stehen muss (das System Südtirol lässt grüßen).
Leider blieb kaum Zeit mehr, mit Ida Rabensteiner über die guten Gründe für einen Glauben an Gott zu diskutieren. Denn an Aussagen, wie „Glaube kann Berge versetzen“ ist vielleicht auch etwas Wahres dran. Lässt sich die oft angeführte Behauptung, gläubige Menschen schaffen es leichter, schwere Lebenskrisen zu bewältigen, objektivieren? Welche Rolle spielen gewisse Fragen über unser Dasein, zu denen es eigentlich außer religiöse keine Antworten gibt? Oder tun wir uns ganz einfach nur schwer mit offenen Fragen zu leben?
Vielleicht haben wir noch ein anderes Mal die Gelegenheit über diese Dinge zu sprechen und zu diskutieren; eine weitere Vertiefung wäre sicher noch möglich.
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