Das Interesse an der zeitgenössischen Kunst, das gleich zu Beginn von Seiten der Anwesenden in den Raum gestellt worden ist, erwies sich als sehr vielschichtig. Angesprochen wurden die Werte in der Kunst, der neue Hang zur Eventkunst, die politische Einflussnahme, die Kriterien bei Ausstellungen moderner Kunst, zeitgenössische Kunst im öffentlichen Raum, die Institution Museion und Einiges mehr.

Marion Piffer skizzierte zuallererst kurz ihren Werdegang:

Sie studierte in Innsbruck und Venedig Kunstgeschichte, konzentrierte sich aber sehr bald auf die zeitgenössische Kunst. In ihrer Doktorarbeit handelte sie das Thema ab, wie zeitgenössische Kunst rezepiert und erlebt werden kann. Nach dem Studium beteiligte sie sich maßgeblich am Aufbau der Museumsgalerie in Bozen und in der Folge leitete sie diese Galerie zwölf Jahre lang. Seit 2000 ist Marion freiberuflich tätig als Ausstellungskuratorin, Lehrbeauftragte und Kunstpublizistin, zuletzt für die Landesausstellung „Labyrinth Freiheit“ in der Festung Franzensfeste 2009. Sie ist auch Mitglied des Kulturbeirates der Autonomen Provinz Bozen sowie des Kulturbeirates der Tiroler Landesregierung Innsbruck. Seit Frühjahr ist eine neue wichtige Herausforderung dazugekommen, die Präsidentschaft der Stiftung Museion – Museum für Moderne und zeitgenössische Kunst Bozen.

Marion Piffer gab einen gerafften Überblick über die Entwicklung in den Bereichen der bildenden Künste in Südtirol seit 1945. Das Museum für zeitgenössische Kunst, das Museion, sieht sie als den Höhepunkt dieser langen Entwicklung.

In der Zeit unmittelbar nach dem II. Weltkrieg war die Situation in Südtirol für die Kunst sehr deprimierend. Es gab allgemein Zukunftsängste, die in Südtirol besonders groß waren, wo man sich als Minderheit einer fremden Staatsmacht ausgeliefert sah. Die Kulturpolitik war geprägt von einer Rhetorik der Erbauung. In den 50er Jahren hatte die Kunst die Funktion dekorativ, aufheiternd und aufmunternd zu wirken. Dies spiegeln die Kunstwerke an öffentlichen Gebäuden klar wider, die in dieser Zeit entstanden sind. Die Südtiroler Idylle wurde beschwört. Atzwangers Weinlese kann als Paradebeispiel künstlerischen Schaffens für diese Zeit angeführt werden.

Einen Meilenstein für die Kunstentwicklung in Südtirol stellt das Fresko von Platter im Landtagsgebäude dar. Der Künstler ist sich selbst treu geblieben und es ist ihm gelungen ein interessantes Werk zu schaffen, nicht nur für die damalige Zeit sondern auch darüber hinaus.

Mit den 60er Jahren kam allgemein ein neuer Schwung in das kulturelle Leben; auch in Südtirol. In diese Zeit fällt die Brixner Rede von Norbert C. Kaser, eine der zentralen Figuren des Widerstands gegen die eindimensionale, konservative und katholische Kulturpolitik in Südtirol. In Meran bildete sich eine Künstlergruppe mit Felin, Ebensberger u.a., die ein künstlerisches Manifest ausarbeitete. Mit diesem Manifest wollte man vor allem auf die vielfältigen Inhalte, Aufgaben und Funktionen der Kunst hinweisen. Kunst sollte nicht nur der Erbauung dienen. Ästhetik aber auch gesellschaftspolitische Themen sollen mehr in den Vordergrund gestellt werden. Hervorzuheben sind weiters die Bemühungen, Kontakte zur Uni Trient sowie zur internationalen Kunstszene aufzubauen. Es war eine Zeit des Aufbruchs, des Zusammenkommens, der Versammlungen. Das soziale Engagement spielte eine große Rolle. Dies mag wohl mit ein Grund sein, warum relativ wenige Werke und Objekte aus dieser Zeit stammen. Plakate, Reden u.ä. gibt es hingegen sehr viele. Es gab in dieser Zeit bereits einige Südtiroler Künstler (Gilbert und George, Pichler, Oberhuber), die im Ausland ihrer Beschäftigung als Künstler nachgingen und einen gewissen Bekanntheitsgrad erreichten. In Südtirol selbst hingegen waren sie kaum bekannt und deren Leistungen wurden nicht wahrgenommen. Es gab auch keine Institution, die diese Künstler repräsentierte.

Diese Zeit, geprägt auf der einen Seite von einer rebellierenden neuen Generation und auf der anderen Seite von einem dagegen haltenden, autoritären, nach wie vor sehr kompakten Block von Konservativen, reichte noch weit in die 70er Jahre hinein. Erst in den 80er Jahren konnte ein nächster wichtiger Schritt vollzogen werden. Mit der Festigung der Südtiroler Autonomie ergab sich auch eine neue Öffnung im kulturellen Bereich und so konnte sich die zeitgenössische Kunst einer zunehmenden Akzeptanz erfreuen. Vor allem Journalisten haben sich dafür eingesetzt. Mit der Einrichtung der Museumsgalerie (1985) gelang dem Künstlerverein, ein erstes Forum für zeitgenössische Kunst zu schaffen. Zwei Jahre drauf, 1987, öffnete dann das Museum für moderne Kunst. Die erste Ausstellung, die in diesem Museum lief, zeigte das Werk von Oberhuber. Damit widmete sich das Haus bereits einer seiner wichtigsten Aufgaben, nämlich Südtiroler Künstler in den Kontext der Internationale zu stellen und deren Leistungen aufzuzeigen. Auf dieser Schiene wollte man von Anfang an Interesse, Leidenschaft und einen Bezug ganz allgemein zur zeitgenössischen Kunst in der Südtiroler Gesellschaft herstellen. Vermittlungsarbeit war und ist nach wie vor ein wichtiger Schwerpunkt dieser Einrichtung.

Somit sind wir im Jetzt angekommen. Das Museion möchte die moderne Kunst den Menschen nicht durch Popularisierung näher bringen, sondern indem es versucht das Programm populär zu machen. Dabei steht das Museion mit 40.000 Besuchern im Jahr nicht so schlecht da. Es kann im internationalen Vergleich mit ähnlichen Häusern mithalten. Allerdings darf auch nicht hintan gehalten werden, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Besucher Touristen sind. Das Ziel muss also sein, die einheimische Bevölkerung noch mehr für die moderne/zeitgenössische Kunst zu gewinnen. Verschiedene Maßnahmen sollen dabei helfen. Über Museion mobil möchte man wieder verstärkt die Schulen erreichen, diskutiert werden auch Familienangebote, Gratiseintritt (wenigstens an gewissen Tagen), Mitgliedschaften usw. Auch die Idee, von den Künstlern Geld zu verlangen, wenn sie im Museion ausstellen, taucht immer wieder auf. Damit würde man aber wohl am Auftrag des Museions vorbeiarbeiten, nämlich den Künstlern ein Forum und nicht so sehr an den Werbeeffekt für den Künstler zu denken.

Gegenstand der Diskussion war dann vor allem, wie weit es Aufgabe der zeitgenössischen Kunst sein soll, Fragen der Gemeinschaft zu verhandeln, Betroffenheit in Bezug auf gesellschaftliche Problemfelder zu erzeugen. Dies alles darf nicht ausgeklammert werden. Mit der Medienwelt zu konkurrieren z.B., wenn es darum geht Betroffenheit zu erzeugen, wird aber von vorneherein eher schwierig sein. Auch kann von der modernen Kunst nicht verlangt werden, dass sie all das, was die Politiker nicht schaffen, zu lösen imstande ist (in der Friedensarbeit, im sozialen Bereich usw.). Man sollte Kunst diesbezüglich ruhig etwas „tiefer hängen“. Gerade in unsicheren Zeiten, wie den heutigen, kann sie aber sicherlich wertvolle Impulse liefern. Moderne Kunst und die Kunst im Algemeinen, darf aber auch nie eine ihrer ureigensten Aufgaben vergessen, nämlich die Beschäftigung mit der Form und die gestalterische Funktion.

Dem Museum soll es vor allem darum gehen, ein offenes Forum zu bilden, Menschen zusammenzubringen und Anbindungsmomente für die hiesige Bevölkerung zu schaffen. Die Frage, ob zeitgenössische Kunst nur in der Metropole ihren Platz finden kann oder auch in der Provinz eine Chance hat, stellt sich heute nicht mehr. Werden einem Künstler Möglichkeiten (Produktions- oder Forschungsanlass) geboten, dann kommt er auch in die Provinz. Sicherlich haben Territorien und deren Künstler jeweils auch eigene künstlerische Sprachen. Schaffen diese aber Werke über etwas, was die Leute bei uns kennen, können neue Dialoge mit interessierten Einheimischen und hiesigen Künstlern entstehen.

Welche Stellung nimmt das Museum im Hinblick auf ähnliche Einrichtungen in den benachbarten Ländern ein? Das Ferdinandeum in Innsbruck, das Mart in Rovereto und das Museion in Bozen stehen nicht in direkter Konkurrenz zueinander. Das Mart z.B. hat einen ganz klaren Schwerpunkt, nämlich die Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das Museion hingegen konzentriert sich voll auf die zeitgenössische Kunst.

Eine längere Diskussion gab es schließlich darüber, welchen Platz zeitgenössische Kunst im öffentlichen Raum einnehmen kann. In Brixen gibt es die Rathausgalerie. Soll die Kunst auf die Räumlichkeiten der Galerie beschränkt bleiben oder kann sie auch einmal einen Teil des Domplatzes (der Bereich des Blumenbeetes liegt unmittelbar davor) mit einbeziehen? Der Hofburggarten soll für die Öffentlichkeit geöffnet und neu gestaltet werden. Auch dort könnte moderne Kunst ihren Platz finden. Das Siegesdenkmal oder auch das Fries beim Gericht sind vielen ein Dorn im Auge. Vielleicht wäre eine Installation mit zeitgenössischer Kunst möglich, die diesen Denkmälern eine andere, neue Bedeutung verleiht und somit zur Verständigung zwischen den Sprachgruppen beiträgt. Die Liste der Möglichkeiten ließe sich noch lange fortsetzten. Mit derartigen Aktionen könnten nicht nur gestalterische Akzente im öffentlichen Raum gesetzt und gesellschaftliche Themen angeschnitten werden, es wäre vor allem auch eine Möglichkeit, die zeitgenössische Kunst der Bevölkerung näher zu bringen. Institutionen, wie das Museion, könnten dabei als „Brandstifter“ fungieren.