Es waren noch nie so viele Personen bei einem Freitagsalon. Wir wussten bereits im Vorfeld, dass dreißig und mehr Teilnehmer mit von der Partie sein werden. Wir haben das Experiment gewagt wissend, dass bei einer so großen Runde eine tiefgehende Diskussion nicht leicht zu realisieren sein wird. Die Tiefe hat dann wohl auch gefehlt. Es sind dafür sehr viele und sehr persönliche Inputs zum Thema Zeit eingebracht worden. Dies bestätigt jedenfalls, dass sich der heutige Mensch sehr stark mit dem Thema Zeit beschäftigt. Viele haben ihre eigenen Vorstellungen und Probleme im Umgang mit der Zeit zum Ausdruck gebracht, sowohl in ihrer persönlichen als auch gesellschaftlichen Dimension. Der Abend hat gezeigt, dass das Thema noch einmal aufgegriffen werden könnte; das Interesse scheint jedenfalls vorhanden zu sein.

Am vergangenen 31. Dezember schien das Feiern im Vordergrund zu stehen, was für einen Silvesterabend absolut in Ordnung geht. Das Feiern kam dann auch nicht zu kurz und so manche/r verweilte bis in die Morgenstunden im Haus an den Rappanlagen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich noch einmal ganz herzlich bei Monika bedanken, dass sie ihr Haus für das Silvesterfest des Freitagsalons zur Verfügung gestellt hat. Ein Dank auch an alle anderen, die zum Gelingen des Festes beigetragen haben.

Hansjörg Thaler hat sich als Archäologe viel mit Chronologie, den unterschiedlichen Kalendertypen und Zeitmessungen verschiedener geschichtlicher Epochen beschäftigt. Er hat uns darüber einen kurzen Überblick gegeben.

Ein interessanter Unterschied sei vorweggenommen: Es gibt solche Kulturen, in denen der Kalender zyklisch ist, d.h. nach einer gewissen Zeitperiode beginnt die Zeitrechnung wieder bei eins; in anderen Kulturen hingegen ist die Zeitrechnung linear, sie beginnt im Jahre eins (das meistens mit einem ganz bestimmten, für die jeweilige Kultur sehr wichtigen Ereignis zusammenhängt) und wird dann laufend fortgeschrieben.

  • In den Hochkulturen des alten Ägyptens gab es einen zyklischen Kalender, der alle 1460 Jahre zum Ausgangspunkt zurückkehrte; Jahresbeginn ist der 1. September und fällt in etwa mit den jährlichen Nilüberflutungen zusammen.
  • Der chinesische Kalender weist Zyklen von 60 Jahren auf. Es handelt sich um einen der ältesten Kalender. Der Beginn der chinesischen Zeitrechnung ist aber unbekannt. 60 Jahre entsprachen im alten China dem Zeitraum von drei Generationen (Kaisergenerationen).
  • Im antiken Griechenland erfolgte die Zeitrechnung nach den Olympiaden. Sie erfolgte ab dem Jahre 776 v. Chr., in dem die erste Olympiade stattfand. Im Jahre Christi Geburt gab es laut der Berechnung von Dyonisus Exiguus die 195. Olympiade.
  • Die Römer führten unter Julius Cäsar den so genannten julianischen Kalender ein. Bei den orthodoxen Christen ist er immer noch im Gebrauch, weshalb gewisse Feiertage 13 Tage später als bei uns anfallen (Weinachten fiel heuer auf den 6. Jänner).
  • Die jüdische Weltära beginnt mit dem 1. September 3760 v. Chr.; zur Zeit befinden wir uns im Jahre 5769.
  • Der Beginn der islamischen Zeitrechnung fällt mit der Hadschra zusammen, der Flucht Mohameds von Mekka nach Medina, 622 n. Chr.; heute befinden wir uns im Jahre 1378 nach der Hadschra.
  • Der Mayakalender ist wiederum zyklisch und sieht sehr lange Zeitperioden vor. Eine Maya-Era besteht aus 5125 Jahren. Das Initialdatum des gegenwärtigen fünften Zeitalters ist der 13. August 3114 v. Chr. und es endet am 21. oder 23. Dezember 2012 n. Chr.
  • Heute gilt weltweit der so genannte gregorianische Kalender. Er wurde von Papst Gregor XIII im Jahre 1582 eingeführt. Nach diesem Kalender dauert das Jahr 365,2425 und nicht nur 365,2. Tage, wie dies beim julianischen Kalender der Fall ist. Der Kalender sollte deshalb um 12,7 Tage korrigiert werden. Im Oktober 1582 wurde zwar eine Korrektur vorgenommen, aber lediglich um 10 Tage.

All diese verschiedenen Kalender und Zeitrechnungen bestätigen vor allem eines, das der Mensch immer schon ein Bedürfnis verspürte, die Zeit zu messen und sich nach der Zeit zu orientieren. Die Zeit stellt für den Menschen bereits seit Jahrtausenden ein wichtiges Hilfsmittel dar bei der Organisation der täglichen und jahreszeitlichen Arbeiten und Aufgaben.

Eines der Schwerpunkte in der Diskussion war die Frage danach, welche Rolle die Zeit in der heutigen Gesellschaft spielt, wie Zeit wahrgenommen wird und wie die moderne Zeitorganisation ausschaut.

Der Mensch ist heute weniger einem gesellschaftlich vorgebenen Zeitplan unterworfen, wie das in den vergangenen Jahrhunderten noch der Fall war. Der Tagesablauf war früher in ganz bestimmte Schichten eingeteilt, dabei richtete sich der Mensch nach dem Läuten der Turmglocke (Betläuten). Der Sonntag war immer der Tag der Ruhe, an dem nicht gearbeitet werden durfte. Der Jahresablauf war weiters gekennzeichnet von genau festgelegten Festtagen usw. Ähnlich verhielt es sich auch in anderen Kulturen, deren Zeiteinteilungen vielfach noch bis in die heutige Zeit erhalten geblieben sind.

Nun, bei uns sind die alten Rhythmen gefallen. Die Folgen wurden von den Diskussionsteilnehmern aber sehr unterschiedlich eingeschätzt. Einerseits verfügt der Mensch heute in der Regel über mehr Autonomie in seiner Zeiteinteilung, was unbestritten einen gewissen Vorteil darstellt. In Bezug auf die Zeiteinteilung gibt es nun mal individuelle Bedürfnisse; es gibt so genannte Lerchentypen, die mehr tagaktiv sind und so genannte Eulentypen, die am Abend nicht ins Bett zu kriegen sind. Ein enges, allgemein gültiges Zeitkorsett kann diesen Unterschieden nicht Rechnung tragen.

Dennoch sind wir heute oft einem größeren Zeitdruck ausgesetzt als dies früher der Fall war, wir stehen vielfach in einem regelrechten Kampf mit der Zeit. Von Dauerstress ist die Rede, weshalb wir uns auf die Suche nach neuen Techniken begeben, wie man sich aus diesem Teufelskreis ausklinken kann, wie man wieder zur Muse und auch zum Müßiggang finden kann. Obwohl wir heute über mehr freie Zeit verfügen (den Begriff Freizeit hat es früher gar nicht gegeben), hat so was wie Muße kaum mehr einen Platz. Dies kann nur damit erklärt werden, dass wir uns (und zwar wohl gemerkt freiwillig) einem gehörigen Konsumzwang ausliefern, dass wir das Konkurrenzdenken unserer Leistungsgesellschaft auch in unsere Freizeit hineintragen (der eine will den anderen in seinen Sport- und Freizeitaktivitäten übertrumpfen) und dass wir heute nicht mehr lernen mit Langeweile umzugehen (der vielfach übermäßige Fernsehkonsum ist nur ein Symptom dafür).

Auch die physikalische Dimension der Zeit wurde angesprochen. Die Relativität der Zeit. Zeit kann sehr unterschiedlich wahrgenommen werden. Das Phänomen der Zeitdilation hat sogar ein unterschiedliches biologische Altern zur Folge (jemand, der sich mit einer Geschwindigkeit ähnlich der des Lichts bewegt, altert viel langsamer als jemand, der nicht mit einer derartigen Geschwindigkeit unterwegs ist). Auch die Frage, ob es überhaupt die Zeit als physikalische Größe gibt, ist aufgetaucht. Vielleicht ist sie nur eine Erfindung des Menschen?

Schließlich sind der Mayakalender und 2012 noch einmal genannt worden; das Jahr, das mit verschiedenen Szenarien, auch solchen des Weltuntergangs, in Verbindung gebracht wird. Darauf aufbauend hat sich gegen Ende des Diskussionsabends noch eine weitere Diskussion entwickelt. Weltuntergangsszenarien häufen sich in jüngster Zeit (bereits 2000 wurde alles Mögliche vorausgesagt). Haben diese Weltuntergangsstimmungen vielleicht damit zu tun, dass unsere westlichen Hochkulturen (wenn wir uns mal erlauben, sie so zu bezeichnen) ihren Höhepunkt erreicht haben? Müssen wir uns nun auf einen Abwärtstrend gefasst machen? Kann die Intelligenzia der Menschheit einen eventuellen „Niedergang“ aufhalten oder vermeiden?

All zu düster fielen die Aussichten allerdings nicht aus; wir haben uns jedenfalls die Lust zum Feiern an diesem 31. Dezember 2010 nicht nehmen lassen.