Es mag ein Zufall sein, dass wir genau in jenem Monat das Haus für Solidarität als Thema hatten, als es sein zehnjähriges Jubiläum feierte. Dennoch sei gerade aus diesem Grund der Einrichtung schon einmal vorweg eine Würdigung ausgesprochen. Den Verantwortlichen gebührt viel Lob und Anerkennung, für die Ausdauer und Hartnäckigkeit, die es sicherlich braucht, um dieses Haus am Leben zu halten, das ständig ums Überleben kämpfen muss. Dies vor allem auch, weil seit einigen Jahren klar ist, dass die derzeitige Bleibe (ex-Comboni-Missionshaus) schon bald verlassen werden muss, und für die Zukunft noch kein neues Gebäude, das auch für diesen Zweck geeignet wäre, mit hundertprozentiger Sicherheit zur Verfügung steht.
In der Einführungsrunde wurden zahlreiche Fragen gestellt über die Entstehung, das Funktionieren und die Zukunft des Hauses der Solidarität. Ein zentrales Thema stellte dabei der Begriff Solidarität dar und was er konkret in dieser Einrichtung bedeutet.
Dieses wichtige Thema, wurde von den geladenen Gästen, Karl Leiter und Miriam Zenorini ganz klar in den Mittelpunkt gestellt. Sie erklärten uns ausführlich, wie in diesem Haus versucht wird, Solidarität zu leben.
Zuvor schilderten sie uns aber noch dessen Entstehungsgeschichte:
Vor mittlerweile gut zehn Jahren fand in Brixen eine Gruppe von Menschen zusammen, die sich zum Ziel setzten, eine Solidaritätseinrichtung zu schaffen. Von Anfang an war die OEW (Organisation für eine solidarische Welt) sehr stark an diesem Entwicklungsprozess beteiligt. Es sollte eine Einrichtung geschaffen werden, die nicht nur Menschen in gewissen Notlagen aufnimmt, sie sollte auch gleichzeitig mit der ehrenamtlichen Tätigkeit verschiedener Vereine im Sozial- und Umweltbereich verbunden sein. Die Ideen waren anfangs relativ vage. Es dauerte einige Zeit bis sich die Vorstellungen konkretisieren und erste Schritte gesetzt werden konnten.
Man hatte sich also mit einigen weiteren Vereinen zusammengetan und begab sich auf die Suche nach einem Haus. Es wurden sogar Inserate in Zeitungen aufgegeben mit der Nachfrage, ob jemand oder eine Institution ein Gebäude für diese Initiative zur Verfügung stellen könnte. Man wurde glatt fündig und zwar bei den Comboni-Missionaren in Milland. Vor allem Pater Bruno Haspinger setzte sich sehr stark für das Vorhaben ein; sogar ein zinsloses Startkapital wurde von Seiten der Comboni zur Verfügung gestellt. Dies war die Geburtsstunde vom Haus der Solidarität, nunmehr vor genau zehn Jahren.
Es war jene Zeit, in der ein Großteil ähnlicher Einrichtungen, die in den Jahren davor entstanden sind, bereits schon wieder dicht gemacht hatten. Eine derartige Einrichtung dauerhaft zu führen, ist ein gar nicht so einfaches Unterfangen. Viele ähnliche Projekte scheiterten leider, sicher auch wegen mangelnder Unterstützung. Heute gibt es derartige Einrichtungen nur mehr vereinzelt. In Innsbruck besteht nach wie vor ein Haus, das ebenfalls Menschen in Notlagen aufnimmt, in dem aber keine weiteren Vereine eingebunden sind.
Die Initiatoren des Hauses der Solidarität wussten von dem Scheitern zahlreicher anderer Solidaritätsbewegungen und –einrichtungen Bescheid. Dennoch machten sie sich an die Arbeit. Es hat sich gelohnt. Das Haus der Solidarität gibt es nach wie vor und es erfreut sich großer Lebendigkeit.
Nun aber zur Schlüsselfrage: Was ist mit Solidarität gemeint? Grundsätzlich geht es ganz einfach um das Ziel, eine bessere Welt zu schaffen und das Leid der Sozial-Schwachen, Unterdrückten und Ausgeschlossenen zu vermindern. Es gab immer Menschen, es gibt sie immer noch und es wird sie immer geben, die Hilfe benötigen und auf Solidarität angewiesen sind. Das Ziel des HdS war es und ist es nach wie vor für diese Menschen wenigstens temporär eine Bleibe zu bieten (in Form einer Wohngemeinschaft) sie in ihrem Werdegang zu unterstützen und ihnen dabei behilflich zu sein, in unserer Gesellschaft wieder besser Fuß zu fassen.
Wie funktioniert diese Wohngemeinschaft? 40 – 50 Personen kann das Haus der Solidarität aufnehmen. Derzeit leben dort gut 40 Leute, die aus sechzehn verschiedenen Länder stammen und zwar aller Altersklassen (von einem 2 Monate alten Baby bis zu einem 72 jährigen Mann). Es handelt sich um klassische Obdachlose, um Haftentlassene, um Migranten, um Menschen mit psychischen Problemen, mit Suchtproblemen, aber auch solche ohne irgendwelche besonderen Probleme werden zeitweise beherbergt.
Bei der Aufnahme wird darauf geachtet, dass es sich bei den neuen Bewohnern des Hauses um Menschen handelt, die sich in diese Gemeinschaft einbinden können. Mitunter werden auch Leute abgelehnt. Im Grunde handelt es sich aber um eine Bauchentscheidung, ob jemand aufgenommen oder abgelehnt wird, weil die zur Verfügung stehenden Informationen nur eine solche zulassen. Ein Kriterium ist jedenfalls auch, dass es nicht zu einen Überhang kommt: z.B. dass zu viele vom selben Land im Hause sind oder zu viele Alkoholabhängige aufgenommen werden. Es wurde die Erfahrung gemacht, dass dies sich nicht günstig auf die hausinterne Dynamik auswirkt. Die Aufgenommenen können maximal ein Jahr im Haus bleiben. Bereits nach einem Monat wird überprüft, wie weit sich die neu Aufgenommenen in die Gemeinschaft einleben konnten bzw. welche Schwierigkeiten sich ergaben. Illegale können nicht aufgenommen werden, denn es wird jeder bei der Quästur angemeldet. Nur im Winter oder bei äußerst schlechten Wetterverhältnissen kann schon einmal jemand Einlass finden, ohne dass nach den Papieren gefragt wird, aber dann höchsten für einen Tag oder für eine Nacht. Unter den Hausinsassen ist immer auch ein gewisser Anteil Einheimischer dabei; darauf wird sehr viel Wert gelegt. Auf diesem Weg können schließlich auch Verbindungen zwischen Südtirolern und Migranten hergestellt werden.
Das Leben im Haus ist ein gemeinschaftliches. Es muss von den Nutzern des Hauses selbst geputzt und gekocht werden und das bedarf einer guten Organisation. Einige übernehmen z.B. das Kochen, die dann in der Regel für 20, maximal 25 Personen das Essen zubereiten (die zum gemeinsamen Essen kommen, müssen sich natürlich rechtzeitig anmelden). Dem Haus der Solidarität gelingt es, wenigstens z.T. die Lebensmittel gratis zu beziehen: der Lüsner Bäcker gibt das jeweils am Abend übrig gebliebene Brot dem Haus und über den so genannten Banco alimentare erhält es Produkte, die kurz vor dem Ablaufen des Verfallsdatums stehen.
Die Leute im Haus der Solidarität bezahlen in der Regel eine Miete, die nicht sehr hoch ist. Sie verfügen ja auch nicht über größere Finanzmittel. Sie beziehen Sozialhilfe oder eine geringes Gehalt, wenn sie einer Arbeit nachgehen. Keine Miete bezahlen normalerweise jene, die im Notschlaflager kurzfristig aufgenommen werden. Diese beteiligen sich dafür mehr bei den Arbeiten, die im Hause anfallen. Die Mieten sind die Haupteinnahmequelle des Hauses aber es gibt auch immer wieder Spenden, die sehr gerne angenommen und dringend gebraucht werden. Das Haus kann sich so selbst finanzieren; es hat noch nie um einen Beitrag bei einer öffentlichen Struktur angesucht. Es ist den Betreibern sehr wichtig, dass sich das Haus selbst erhalten kann.
Es braucht eine gute Organisation für den Ablauf des Gemeinschaftslebens im Haus. Dafür sind auch die Hausinsassen selbst zu einem erheblichen Teil zuständig, denn nicht alles können die Fixangestellten übernehmen. Besonders an den Wochenenden trifft dies zu, wenn die Fixangestellten nicht im Hause sind. Für diese Aufgaben braucht es Menschen, die stabil und nicht von persönlichen Problemen all zu sehr belastet sind.
Wie bereits erwähnt sind die Menschen, die im Haus der Solidarität leben, unterschiedlicher Herkunft. Daraus ergibt sich ein völlig interkulturelles Leben. Es ist natürlich nicht immer leicht, die unterschiedlichen Vorstellungen, die damit einhergehen, unter einen Hut zu bringen. Beim Essen z.B. können die verschiedenen Vorlieben bei Afrikanern, Südamerikanern und Asiaten schon mal sehr weit auseinander liegen. Auch vom Putzdienst haben nicht alle dieselben Vorstellungen: was für den einen bereits als geputzt und aufgeräumt gilt, erscheint einem anderen überhaupt nicht so.
Im Haus der Solidarität werden verschiedene Hilfestellungen angeboten; z.B. für jene die auf Arbeitssuche sind oder Kurse besuchen möchten. Mit jenen die keiner Arbeit nachgehen, werden regelmäßig eigene Gespräche geführt, zusätzlich zu den normalen monatlichen Treffen. Mit Leuten aus der Wirtschaft, Vertretern der Sicherheitsorgane, der Quästur werden Kontakte geknüpft. Dabei wird das Ziel verfolgt, die Hausinsassen langfristig wieder stabil in unser Gesellschaftssystem zu integrieren.
Eine besondere Kategorie stellen die Altenpflegerinnen dar, die vielfach aus dem Osten zu uns kommen. Wenn der Pflegefall stirbt stehen sie oft von einem Tag auf dem anderen vor dem Nichts da, ohne Arbeit, Essen und Unterkunft. Für diese Frauen stellt das Haus der Solidarität eine Übergangslösung dar, indem sie die Zeit bis sie einen nächsten Pflegefall übernehmen, dort verbringen können. Im HdS hat sich auf diesem Wege ein richtiger Vermittlungsdienst entwickelt: es werden Listen geführt einerseits von Pflegerinnen, die ihre Dienste anbieten und andererseits von Menschen, die einen Pflegefall in ihrer Familie haben. Diese Vermittlungen laufen sehr gut.
So richtig bekannt geworden ist das Haus der Solidarität erst in jüngster Zeit durch seine Existenzfrage. Diese ergab sich daraus, dass die Comboni-Missionare es sich mittlerweile anders überlegt haben und den Wert des Gebäudes in Milland nutzen möchten. Über die finanziellen Mittel, ein Gebäude anzukaufen oder zu errichten, verfügt man im Haus der Solidarität nicht. Bestehende Gebäude, die für diesen Zweck in Frage kommen, gibt es nicht sehr viele. Ein Gebäude, das in letzter Zeit in die engere Wahl gezogen wurde, ist das Jakob Steiner Haus, das sich ebenfalls in Milland befindet, lediglich einen Steinwurf vom Missionshaus entfernt, wo heute das HdS untergebracht ist. Es bedarf allerdings einiger Umbauarbeiten und Adaptierungen, damit es als Haus der Solidarität verwendet werden kann.
Bleibt zu hoffen, dass die Unterkunftsfrage für diese Einrichtung möglichst bald und zufrieden stellend gelöst und dass deren Bekanntheitsgrad wieder mehr auf andere Gründe zurückgeführt werden kann: auf deren ureigenen Funktion der Soliodarität sowie als Begegnungsstätte der Kulturen. Die jährlichen Zugluft-Feste, die interkulturellen Abendessen jeweils am ersten Freitag des Monats stehen unter diesem Zeichen. Für die Zukunft sind einige weitere Initiativen geplant. Ein Kostnix-Laden soll demnächst in Brixen unter den Lauben eröffnet werden und auch ein Bücherflohmarkt wird angedacht. Die Einrichtung einer Bar oder eines Cafes als interkulturelle Begegnungsstätte konnte bis heute nicht geschaffen werden. Ein solches Unterfangen ist mit erheblichen bürokratischen und organisatorischen Schwierigkeiten verbunden und deshalb nicht so leicht zu realisieren. Die Diskussionsteilnehmer wiesen allerdings gerade auf die Bedeutung solche Orte hin, die Gelegenheiten unverbindlicher Begegnung ermöglichen, außerhalb der eigens für diesen Zweck organisierten Veranstaltungen.
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