Eines hat sich an diesem Abend gezeigt, wir haben uns nicht so leicht getan mit der Definition von Esoterik. Ich denke, dass damit nur die effektive Situation, wie heute mit diesem Begriff umgegangen wird, widergespiegelt wurde.

Ich möchte deshalb noch einmal die Definition laut Wikipedia in Erinnerung rufen:

„Esoterik (von griechisch σωτερικός: esōterikós: „innere“) ist in der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs eine philosophische Lehre, die nur für einen begrenzten „inneren“ Personenkreis zugänglich ist – im Gegensatz zu Exoterik als öffentlichem Wissen. Andere traditionelle Wortbedeutungen beziehen sich auf einen inneren, spirituellen Erkenntnisweg, etwa synonym mit Mystik, oder auf ein „höheres“, „absolutes“ Wissen. Daneben wird der Begriff in freier Weise für ein breites Spektrum verschiedenartiger spiritueller und okkulter Lehren und Praktiken gebraucht.“

Die erste Begriffsbestimmung kam in unserem Diskussionsabend nicht zum Zug.

Die zweite Wortbedeutung, bei der es um einen inneren, spirituellen Erkenntnisweg geht, schon eher. Es fiel auf, dass wenigstens einige der Diskussionsteilnehmer immer wieder versuchten, das Gespräch auf diesen Aspekt zu lenken. Sie wollten auf diese traditionelle Bedeutung des Begriffes hinweisen, die heute immer mehr in den Hintergrund zu geraten scheint. Für sie ist Esoterik das Synonym für Spiritualität, das heißt, es geht um Gottvertrauen, die geistige Verbindung zum Transzendenten, Erkenntnis, Weisheit, Einsicht, Meditation, aber auch Begriffe, wie Mitgefühl, Toleranz, Ehrfurcht und Gleichmut. Im heutigen, wieder stärker werdenden Hang zum Esoterischen sehen sie vor allem diese Komponente, sie sehen den suchenden Menschen, der heute mehr denn je gefordert ist. Althergebrachte Vorstellungen, Überzeugungen, Glaubenssätze und Einsichten geraten nun schon seit geraumer Zeit ins Wanken, moderne, an unsere technisierte Welt gebundene Wertvorstellungen erscheinen für viele keine wahre Alternative darzustellen, weshalb viel von Orientierungslosigkeit, Verlorenheit, Unsicherheiten und Verlust an echten Werten die Rede ist. Es wird auch von einer Zeit der Paradigmenwechsel und des Umbruchs gesprochen. Es ist deshalb mehr als verständlich, dass der Mensch sich wieder verstärkt auf die Suche nach geistigen, inneren Werten begibt und dass somit die Esoterik eine neue Renaissance erlebt.

Viel mehr ging es in der Diskussion beim Freitagsalon aber um die dritte der oben genannten Definitionen, laut der es sich bei Esoterik um einen Sammelbegriff für alle möglichen spirituellen und auch okkulten Lehren und Praktiken geht.

Damit sind wir auch schon an jenem Punkt angelangt, der einen gewissen Disput ausgelöst hat und er steckt im Wörtchen okkult. Okkultismus ist eindeutig negativ besetzt. Wenn also Esoterik mit okkulten Dingen in Verbindung gebracht wird, dann ist die Skepsis ihr gegenüber leicht erklärbar.

Mit Karin Wallnöfer hatten wir eine Expertin für Orientalistik in unsere Runde. Nach ihrem Studium über Chinesologie in Bologna beschäftigte sie sich mit TCM (Traditionelle Chinesische Medizin) und zwar insbesonders mit der chinesischen Ernährungslehre, mit Shiatsu und Qigong. Aber auch über eine Reihe anderer Praktiken wie Reiki, sowie über Begriffe wie Karma, Chakra, Qi usw. weiß sie Bescheid.

All dies wird von vielen unter den Überbegriff Esoterik eingeordnet und nicht immer nur positiv bewertet. Zu Unrecht wie Karin feststellt; sie sieht das Problem der Esoterik eher als „ein großes Missverständnis: die asiatischen Traditionen und Religionen entsprechen meist nur in Umrissen unseren westlichen Projektionen in Richtung „Orient“. Dass es in diesem Zusammenhang auch zu Scharlatanerie kommt ist wahr, aber wo verläuft genau die Grenze? Worauf sie mit weiteren Fragen antwortet: „Wie kann diese Grenze festgelegt werden? Durch die Wissenschaft? Ist die Wissenschaft nicht auch manchmal blind oder einfach nur beschränkt, gefangen in ihrem Paradigma? Wie oft in der Vergangenheit hat sich eine allgemein anerkannte Lehrmeinung schon im Nachhinein als falsch erwiesen?“

Für Karin können die verschiedenen, oben erwähnten Praktiken aus dem asiatischen Raum durchaus auch für uns Europäer interessant sein. Es handelt sich vorwiegend um Techniken und Übungen, Meditations-, Konzentrations- und Bewegungsformen zur Kultivierung von Körper und Geist. Eingesetzt werden sie in der Gesundheitsvorsorge, in der  Behandlung und Vorbeugung von Krankheiten, aber auch in der Kampfkunst.

Ein Hindernis stellt allerdings die Tatsache dar, dass wir zum einen nicht in der orientalischen Kultur aufgewachsen sind und zum zweiten, dass es für das Erlernen dieser Techniken viel Zeit braucht, vor allem für uns Europäer, die wir uns erst einmal deren Geist anfreunden müssen.

Wenn nun Wochenendseminare für Reiki u.ä. angeboten werden mit dem Versprechen von Ergebnissen, die in so kurzer Zeit eigentlich nie und nimmer erzielt werden können, so hat dies wenig mit Seriösität zu tun. Es muss alles sehr schnell gehen, unterschiedliche Dinge, die eigentlich auseinander zu halten sind, werden vermischt usw. Karin spricht in diesem Zusammenhang von einem Supermarkt der Esoterik oder auch von Fastfood-Esoterik.

Esoterikkritik ist deshalb durchaus angebracht; dies gilt besonders in jenen Fällen, in denen all zu oberflächlich mit diesen Lehren, Techniken und Praktiken umgegangen wird und die somit vielfach in reinen Konsum ausarten.

Weiters muss auch darauf verwiesen werden, dass nicht alles Esoterische aus dem Orient stammt. Homöopathie, Anthroposophie (Rudolf Steiner), Systemische Familienaufstellungen nach Hellinger, Wünschelrutengehen, Auspendeln u.ä. ordnen auch viele der Esoterik zu.

In der Diskussion hat sich schließlich gezeigt, dass in der Volksmeinung sämtliche geistig-religiöse-mystische Bewegungen sowie gewisse Gesundheits- und Körperertüchtigungspraktiken, Übungen für das seelische Gleichgewicht (insbesonders jene asiatischen Ursprungs) in den Topf der Esoterik geworfen werden. Es geht um Dinge, die vielfach rational nicht fassbar sind oder um Heilmethoden, die mit dem Placeboeffekt arbeiten oder wenigstens teilweise darauf beruhen.

Nun, viele Menschen tendieren allerdings dazu, zu all dem, was für sie nicht rational erklärbar ist, auf Abstand zu gehen. Und daraus resultiert wahrscheinlich zu einem gewissen Teil der negative Beigeschmack, der der Esoterik anhaftet.

Sicherlich gibt es auch ganz klare Missbrauchsgeschichten, sektiererische Bewegungen, die das Ihrige zu diesem Image der Esoterik beigetragen haben.

Es tauchen immer wieder Heilslehren auf, die oft sehr wenig mit Bodeständigkeit und Realitätssinn zu tun haben. Den Menschen, die sich in diesen religiös angehauchten Weltanschauungen verlieren, ist in ihrer Bewältigung des alltäglichen Lebens nicht unbedingt oder höchstens kurzfristig geholfen (solange der Verdrängungsmechanismus funktioniert). Auch gesellschaftspolitisch haben derlei Strömungen eine gewisse Tragweite. Wenn sie zu fatalistischen Haltungen oder in den Fanatismus führen, wirkt sich das aus demokratiepolitischer Sicht ganz sicherlich nicht positiv aus. Es geht beim Betroffenen entweder das Interesse für das Gemeinschaftliche oder umgekehrt das Gefühl für die persönliche Eigenständigkeit verloren. Für die Gesellschaft und letztlich auch für den Einzelnen ist beides in jedem Falle schädlich.

In diesem Sinne erscheint eine gewisse Skepsis gegenüber dem Esoterischen durchaus verständlich.

Andererseits sollte aber nicht übersehen werden, dass es sich vielfach um Techniken und Praktiken handelt, die den Menschen – völlig abseits von irgendwelchen ideologischen, weltanschaulichen oder auch religiösen Vorstellungen – Möglichkeiten bieten, zum dringend notwendigen körperlichen und seelischen Ausgleich zu gelangen.

Auch die Komplementärmedizin mit ihren Methoden gewinnt immer mehr an Anerkennung. In so manchen Fällen, wo die Schulmedizin mit ihrem Latein am Ende war, konnten hingegen alternative Heilmethoden Erfolge aufweisen. Aber auch bei ganz normalen Beschwerden, die ohne weiteres mit Erfolg von der Schulmedizin behandelt werden können, ist nicht immer gesagt, dass dies der richtige Weg ist. Denken wir an die all zu häufige Verwendung von Antibiotika, womit zum einen erhebliche Nebenwirkungen verbunden sein können und zum anderen die Gefahr, das langfristig deren Wirkungs- und Anwendungsmöglichkeiten immer mehr eingeschränkt werden – auch im Falle von Krankheiten, die ohne derartige Medikamente gar nicht heilbar sind.

Und wenn es um Placebowirkungen geht, dann muss dabei doch nicht Schlimmes dran sein. Im Gegenteil: Wer heilt, hat immer Recht; umso mehr, wenn der therapeutische und der medikamentöse Aufwand (und somit auch die Neben- und Nachwirkungen) begrenzt bleiben. Auf welche Weise auch immer man imstande ist, die Selbstheilungskräfte zu aktivieren, ist im Grunde egal, wichtig ist, dass es dazu kommt.

Dass es den Placeboeffekt gibt, kann mittlerweile niemand mehr abstreiten. Die Frage bleibt aber, ob sich nicht auch die Schulmedizin mehr damit auseinandersetzen sollte.