Eines der herausragendsten Ereignisse des Jubiläumsjahres der Gruppe Dekadenz war wohl die für diesen Anlass geplante Eigenproduktion. Es war eine Rückkehr zur ureigensten Theatergattung der Gruppe Dekadenz: das Kabarett. Dabei kam man nicht umhin, festzustellen, dass Kabarettmachen heute ganz andere Herausforderungen in sich birgt, als dies früher der Fall war. Vor dreißig Jahren war Kabarett in Südtirol etwas völlig Neues und ermöglichte entsprechende Erfolge.
Kabarett war ursprünglich ganz allgemein eine Möglichkeit, Dinge zu sagen, die man sonst nicht offen aussprechen durfte, wofür man möglicherweise sonst im Gefängnis landete. Heute hingegen kann man alles sagen, damit hat das Kabarett eine wichtige Funktion verloren und es ist schwieriger geworden, Kabarett zu machen. Von einer gewissen Krise im Kabarettgenre kann wohl gesprochen werden. Grundsätzlich ist die Gratwanderung dieser Theatergattung zwischen witzig sein, Denkanstöße geben, aber ohne Zeigefinger und Besserwisserei, nicht einfach zu meistern. Ein bisschen ist das Kabarett auch von einem elitären Image geprägt, aber das war früher wohl auch schon so.
Nun, die Gruppe Dekadenz hat jedenfalls zum Jubiläumsjahr ihr Kabarettstück erfolgreich auf die Bühne gebracht. Bei der Produktion von „Net nett“ hat man all die vorher genannten Schwierigkeiten durchgemacht. Vor allem stand zur Debatte, ob die Weltpolitik oder das lokale Geschehen zum Thema gemacht werden sollte.
Die Aufführungen waren gut besucht. Es musste allerdings teilweise festgestellt werden, dass das Publikum Gefallen am effektiv Gesagten fand und nicht an der Tatsache, dass eigentlich etwas auf die Schippe genommen wurde, weshalb man an einem gewissen Punkt auf zusätzliche Aufführungen verzichtete.
Ingrid Porzner (seit 14 Jahren künstlerische Leiterin der Gruppe Dekadenz) erzählte uns weiters Einiges über die Entstehung der Dekadenz, deren Weiterentwicklung und was es alles zu berücksichtigen gilt bei der Erstellung der jeweiligen Aufführungsprogramme.
Die Gruppe Dekadenz ist vor dreißig Jahren aus der Brixner Bühne Kulisse entstanden. Die Kulisse war schon damals eine äußerst rührige Theatergruppe, die auch sehr anspruchsvolle Stücke auf die Bühne brachte. Einige der Kulissemitglieder waren aber auch zu weiteren Experimenten bereit. Aichner, Kaser, Dedominicis, Albertini, Kronbichler und noch einige weitere wünschten sich eine kleine Bühne, die kritisches und unterhaltsames Theater produzieren sollte, eben Kabarett. Diese Bühne wurde im Anreiterkeller Realität. Die Kellerräumlichkeiten wurden von Anfang an und werden auch heute noch von Stremitzer, ohne eine Miete zu kassieren, zur Verfügung gestellt (für die Erhaltung des Kellers kommt die Gruppe Dekadenz auf). Die Gruppe Dekadenz hat dort mit großem Erfolg eine Reihe von eigenen Kabarettproduktionen aufgeführt. Es wurden aber auch immer schon andere Kabarettisten eingeladen. Mit der Zeit gingen dann die Eigenproduktionen etwas zurück.
Eine Zeit lang gab es beide Theatergruppen, Kulisse und Dekadenz. Es kam auch zu einigen Koproduktionen. Schließlich wollte das Land aber nicht mehr beide fördern, die Kulisse bekam keine Förderungen mehr und wurde aufgelöst.
Ein wichtiges Ziel, das man sich bei der Dekadenz auf die Fahne geschrieben hat, ist die Pflege der deutschen Sprache, des Hochdeutschen. Darin wird ein Bildungsauftrag gesehen, der von der Gruppe Dekadenz sehr ernst genommen wird. Im Allgemeinen ist nämlich zu beobachten, dass der Dialekt in Südtirol (aber auch anderswo) immer hoffähiger wird und gerade im Theater immer mehr um sich greift. Im Anreiterkeller möchte man dieser Entwicklung etwas entgegenwirken. Deshalb wird versucht, möglichst viele Künstler aus dem deutschen Sprachraum nach Südtirol zu bringen. Laut Ingrid könnte mit Südtiroler Künstlern durchwegs das halbe Programm bestritten werden, wenn man möchte, nur wird man dann dem genannten Auftrag nicht gerecht.
Die Auswahl wird allerdings dadurch nicht unbedingt erleichtert. So mancher guter ausländischer Kabarettist aus dem deutschen Sprachraum ist bei uns nicht bekannt. Bei Unbekannten besteht leider immer die Gefahr, dass die Aufführungen nicht gut besucht werden. Die Darbietungen von bekannten Künstlern hingegen sind immer ausgebucht. Beim politischen Kabarett gibt es ein anderes Problem: es wird immer elitärer. Gewisse deutsche Kabarettisten versteht nur, wer regelmäßig die Zeit, Spiegel und andere Zeitungen liest. Sie können somit unserem Publikum kaum zugemutet werden.
Der finanzielle Rahmen für das Kleintheater ist eng abgesteckt. Die Förderungen von Land und Gemeinde sind begrenzt. Bei der Gemeinde genießt der Anreiterkeller keine Vorzugsschiene und wird gleich gefördert, wie alle anderen kulturellen Initiativen. Da das Land seine Zuschüsse je nach Wichtigkeit, die die Gemeinde der Einrichtung gibt, festlegt, halten sich auch diese in Grenzen. Das Programm muss an die gegebenen finanziellen Ressourcen angepasst werden. Besonders schwierig wird es, wenn größere Theatergruppen eingeladen werden, die natürlich nur für mehr Geld zu haben sind, da einfach mehr Personen beteiligt sind. Bei mehr als fünf Schauspielern entsteht gezwungenermaßen ein Defizit und mit jeder weiteren Aufführung wird es nur größer. Ein Glück ist es, dass die Kabarettisten in der Regel sehr gerne nach Südtirol kommen. Das Ambiente, der Raum, die Gruppe, die Stadt und das Land üben auf die Künstler einen nicht zu unterschätzenden Reiz aus, weshalb sie sehr oft in Brixen unter ihrer normalen Gage zu haben sind. Ganz besonders wichtig sind auch die freiwilligen Helfer, ohne die der Betrieb nicht abgewickelt werden könnte.
Wie soll nun die Zukunft des Anreiterkellers ausschauen? Die wirtschaftliche Basis wird sich wohl kaum verbessern. Viel mehr ist mit einem Rückgang der Unterstützung zu rechnen. Die Konkurrenz ist in der Vergangenheit größer geworden (am Anfang war der Anreiterkeller das einzige Kleintheater in Südtirol). Prioritäres Ziel wird auf jeden Fall die Erhaltung dieser Theatereinrichtung sein.
Man wird weiterhin bestrebt sein, Eigenproduktionen auf die Bühne zu bringen, wenn auch nicht jedes Jahr eine möglich sein wird.
Es gilt weiterhin abzutasten, wie weit neue Theaterformen und andersartige Angebote im Anreiterkeller ihren Platz finden können. Mit Lesungen wurden nicht gerade gute Erfahrungen gemacht. Eher spärlich ist das Publikum auch wenn modernes Theater bzw. Improvisationstheater gezeigt wird. Besser ankommt ein Poetry-slam-Abend.
Die Jugend scheint jedenfalls eine sehr launische Publikumsschicht zu sein. Mal sind sie da, die Jugendlichen, aber dann fehlen sie wieder völlig. Die Gründe dafür sind nur sehr schwer zu eruieren.
Eine Konzertreihe möchte man weiterhin anbieten, auch wenn nicht zu erwarten ist, dass alle Abende voll ausgebucht sein werden.
Auf Comedy hingegen will man auch in Zukunft verzichten.
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