In der Einführungsrunde tauchte bereits die zentrale Frage auf: wie weit sind Verbote sinnvoll oder was kann sonst unternommen werden, um ausufernden Alkoholkonsum in den Griff zu bekommen bzw. zu vermeiden? Welche sind die gesellschaftlichen Komponenten in der Alkoholproblematik? Welche Parallelen aber auch Unterschiede gibt es zum Konsum anderer Drogen? Wie schaut es überhaupt auf dem Drogenmarkt aus, welche neuen Tendenzen zeichnen sich ab?
Wenn auch die Blickwinkel der Anwesenden (Lehrer, Eltern, Ärzte, Therapeuten, usw.) auf die Problematik sehr unterschiedlich waren, so kreisten doch die Fragestellungen allesamt um die oben genannten.
Peter Kohler kann mittlerweile auf insgesamt 20 Jahre Berufserfahrung im Sucht- und Drogenbereich zurückblicken. Zwischen 1992 und 2001 war er im Krankenhaus tätig. Aus dieser Tätigkeit stieg er nicht ohne Frust aus und gründete daraufhin das Forum für Prävention, zusammen mit Christa Ladurner und Lukas Schwienbacher. Im Krankenhaus hatte er großteils mit Suchtfällen zu tun, die vielfach hoffnungslos waren und die Arbeitserfolge fielen entsprechend bescheiden aus.
Umso dringender und notwendiger verspürte er das Bedürfnis und die Notwendigkeit in der Prävention wirksam zu werden. Zu dritt haben sie das Forum aufgebaut und schon bald kam eine vierte Fachkraft hinzu, die sich vor allem mit der Problematik Essstörungen beschäftigte.
Peter skizzierte kurz und dennoch sehr prägnant und aufschlussreich die Thematik Alkohol in seiner gesellschaftlichen Dimension. Lothar Böhnisch hat für unsere Zeit den Begriff der zweiten Moderne geprägt. Es ist die Zeit, in der von Analog auf Digital umgestellt wird und zwar in den verschiedensten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Ein weiteres wichtiges Merkmal der heutigen Epoche ist die Entgrenzung, die in fast allen gesellschaftlichen Bereichen spürbar ist. Arbeit, Familie, Zeit – Begriffe, die früher sehr klar definiert waren – lösen sich zusehends auf oder kriegen jedenfalls eine neue Bedeutung. Sie bieten lang nicht mehr jene Orientierung, wie dies früher der Fall war. Die Rollen, die z.B. früher die einzelnen Familienmitglieder innehatten, sind heute längst nicht mehr so klar abgesteckt.
Damit ändert sich auch in einem gewissen Sinn die Wahrnehmung auf die Realität. Der Alkohol übernimmt in diesem Zusammenhang vielfach die Funktion des Transporters, er begleitet die Menschen in die neue Realität.
All dies hat seine Auswirkungen auf die Identitätsentwicklung, die heute zumeist nicht mehr so linear ist, wie dies einmal der Fall war. Das Leben ist gekennzeichnet von viel mehr Freiheiten, die aber gleichzeitig auch mehr Verantwortung mit sich bringen. Mit diesen Verantwortlichkeiten muss sich der Mensch scheinbar erst zurechtfinden.
Nun, wie präsent ist der Alkohol in unserer Gesellschaft? Es kann gleich vorweg genommen werden, dass er sehr stark präsent ist.
Verschiedene Entwicklungen zeichnen sich ab:
Unter der so genannten Normalisierung versteht man die Tendenz dahin, dass bei gewissen Gelegenheiten, wie im Straßenverkehr, bei der Arbeit und in der Schwangerschaft, überhaupt nichts getrunken wird, während bei allen anderen Anlässen dem Alkohol gefrönt wird. Auch die Alkoholwerbung ist mittlerweile allgegenwärtig; nicht einmal die Kirche hat damit noch ein Problem (Bierwerbung bei der Bischofsweihe).
Es wird gleichzeitig von einer Polarisierung gesprochen, womit gemeint ist, dass im Gegenzug ein gewisser Prozentsatz von Menschen (20 %) nichts trinkt. 80 % hingegen trinken. Diese Aufteilung kann sich möglicherweise ändern. Sehr stabil bleibt der Anteil an Menschen (ca. 15 – 20 %), der Probleme mit dem Alkohol hat.
Ein weiteres Phänomen im Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum ist die Zunahme an Alkoholexzessen (Radikalisierung).
Schließlich wird von einer Beschleunigung, einer Akzeleration gesprochen: Der Mensch fängt heute früher mit dem Alkoholtrinken an (wie dies allerdings auch bei vielen anderen Dingen der Fall ist, z.B. Sex). Grundsätzlich muss gesagt werden, dass die Jugendphase früher beginnt und sie dauert auch nach oben länger an.
Peter hat einen interessanten Konnex erstellt zwischen den heutigen Exzessen des Alkoholismus im Jugendalter und der gesellschaftlichen Situation. In der langen Jugendphase, bedingt auch durch eine längere Ausbildungszeit, ist die gesellschaftliche Position der jungen Menschen eine äußerst schwache. Sie sind großteils von der Arbeitswelt ausgeklammert, tragen kaum Verantwortlichkeiten für ihr Umfeld und können deshalb entsprechend wenig mitbestimmen. Dadurch entstehen gewisse Freiräume ganz allgemein für Exzesse und in unserem Kulturraum insbesonders auch für den Umgang mit Alkohol bzw. mit anderen Drogen.
Dazu kommt noch, dass es mittlerweile Initiationsrituale für den Übergang ins Erwachsenenstadium so gut wie nicht mehr gibt. Das mag einerseits seine positive Seiten haben, wenn man an gewisse starre Rituale der Vergangenheit denkt, wie die Mammutjagd oder die Beschneidung (auch das Militär für die männlichen Jugendlichen und die Hochzeit für die jungen Frauen wurden in diesem Zusammenhang erwähnt). Wenn aber in diesem Prozess des Übergangs sämtliche von der Gesellschaft vorgegebene Begleitschienen fehlen, dann suchen sich die jungen Menschen ihre eigenen Mittel und Wege, um Eingang zu finden in die Welt der Erwachsenen. Sehr oft geht es dabei darum, aufzufallen und auf sich aufmerksam zu machen. Alkoholszenen unter den Jugendlichen und ähnliche Erscheinungen sind vielfach in diesem Lichte zu sehen. Der Alkohol dient dazu, die Tür zu öffnen, um gewisse Seiten des Erwachsenenlebens auszukosten; z.B. die Zuwendung zum anderen Geschlecht und zur Sexualität. Z.T. entstehen auf diese Weise richtige Kunstwelten, in denen Alkohol eine wichtige Rolle spielen kann. Die Jugend bräuchte zwar etwas anderes, aber das gibt es wohl nicht bzw. nicht mehr in unserer Gesellschaft. Facebook spiegelt diese Situation sehr gut wieder: Fotos mit Alkohol sind fast bei allen Beteiligten dabei.
Weiters muss in diesem Kontext auch noch die extreme Individualisierung in unserer Gesellschaft erwähnt werden. In der Nachfolgezeit der Moderne und der Postmoderne, in unserer heutigen Zeit (die Peter als die zweite Moderne definiert hat) muss jeder junge Mensch etwas finden, das ihn einzigartig macht, wodurch er sich abgrenzt von den anderen. Es reicht nicht mehr Hippie oder Punk zu sein, jeder ist heute für sich selbst eine Marke. Auch die Wirtschaft hat diesen Trend bereits klar erkannt und beeinflusst ihn auch sehr stark mit. Die voll auf Emotionen ausgerichtete Werbung versucht Marken zu kreieren, die für einzelne Gruppen Erkennungsmerkmale und Voraussetzungen für die Dazugehörigkeit darstellen.
In unserer Zeit, geprägt von Individualismus und wohl noch nie da gewesenen Freiheiten (denken wir an die Sexualität, in der es eigentlich nur mehr ein Tabu gibt und zwar die Pädophilie) bieten sich entsprechend viele Möglichkeiten für die Jugend an, sich abzugrenzen sowie die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Aber nicht alle Jugendlichen brechen aus, dies kann vor allem bei jenen beobachtet werden, die ihre Erfolge in Schule und Ausbildung aufweisen und dadurch zu ihrer Anerkennung kommen. Andere hingegen holen sich die Aufmerksamkeit über andere Schienen, worunter leider oft auch solche sind, die ein erhebliches destruktives Potential aufweisen: übermäßiger Alkoholkonsum, Essstörungen oder andere Auffälligkeiten.
Die Diskussion wies gewisse Schwerpunkte auf, z.B. ganz allgemein der Standpunkt zum Alkohol, welcher Stellenwert, welche Bedeutung und Rolle ihm in unserer Gesellschaft zukommt. Übereinstimmung gab es jedenfalls darüber, dass seine Bedeutung ungebrochen anhält. Nicht vergessen darf die wirtschaftliche Komponente, die hinterm Alkoholkonsum steht. Alkohol ist ein nicht unerheblicher und sehr lukrativer Wirtschaftszweig und wie auch in allen anderen Wirtschaftsbereichen wird auch in diesem viel Werbung betrieben. Genau diese Werbung für alkoholische Getränke spiegelt die bigotte Haltung unserer Gesellschaft in diesem Zusammenhang sehr gut wieder. Einerseits werden viele Bemühungen unternommen, um Alkoholkonsum und –exzesse einzuschränken und andererseits wird viel Geld ausgegeben und werden keine Bemühungen gescheut, wenn es darum geht die Umsatzzahlen im Alkoholgeschäft in die Höhe zu treiben. Diese widersprüchliche Haltung ist hinein bis in kleinste Realitäten feststellbar. Z.B. steht bei der Organisation von Festen und Bällen immer wieder der all zu leichtfertige Umgang mit Alkohol in der Kritik. Andererseits weiß man aber auch, dass bei diesen Festen die Einkünfte durch den Alkoholverkauf eine wichtige Rolle spielen, sei es um die Vereinskasse oder auch jener der Maturaklasse aufzufüllen. Die Bewerbung und das Angebot von alkoholischen Getränken waren noch nie auf einem derartigen Niveau, wie dies heute der Fall ist. Diese Tatsache trägt sicher wesentlich dazu bei, den Alkoholkonsum zu steigern bzw. hoch zu halten.
Auch auf dem Sektor der illegalen Drogen spielen wirtschaftliche Faktoren eine wichtige Rolle. Es geht jedenfalls in beiden Fällen um Märkte, die sehr stark zementiert sind und es gibt auch keinerlei Anzeichen über ein Aufweichen der Gesetzmäßigkeiten dieser Märkte. Bis vor ca. 100 Jahren waren alle Drogen frei (auch Kokain und Heroin), aber es gab bis dahin keine Werbung für Drogen.
Ein ähnliches Szenario, nämlich die Drogen wieder freizugeben und im Gegenzug auf sämtliche Werbung zu verzichten, wird kaum realisierbar sein. Die beiden oben genannten Märkte sind sehr lukrativ und die damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Interessen viel zu stark.
Es ist deshalb umso wichtiger, an einem Regulierungsmodell für den Alkoholkonsum zu arbeiten und es gesellschaftlich zu etablieren. (z.B. kein Alkohol, bei der Arbeit und im Straßenverkehr, Jugendschutz usw.). Für Präventionsarbeit und -kampagnen ist es heute ebenfalls viel leichter die notwendige Unterstützung zu erhalten (noch beim früheren Landesrat Saurer konnten in Südtirol keine Kampagnen gegen den Alkohol gestartet werden).
Kurz kamen wir auch noch darauf zu sprechen, was der Drogenmarkt heute an neuen Drogen zu bieten hat. Dabei fällt vor allem auf, dass die chemisch-synthetischen Drogen immer mehr zunehmen. Vor allem die große Anzahl unterschiedlicher Substanzen fällt auf. Unter dem Sammelbegriff Ecstasy ist eine Reihe von Phenylethylaminen gemeint. Es geht um Amphetamine, bei deren Herstellung durch geringfügige Veränderungen der Molekularstruktur ständig neue Substanzen hervorgebracht werden. Eine Kontrolle dieses Drogenmarktes (der vielfach über das Internet abgewickelt wird) wird dadurch sehr erschwert.
Synthetische Cannaboide werden ebenfalls immer mehr vertrieben.
Schließlich kommen in der Medizin eine Vielzahl von Mitteln zur Anwendung, die zu Abhängigkeiten führen (Antidepressiva, Schlafmittel, Ritalin usw.). Es gilt also auch in diesem Bereich, einen all zu leichtfertigen Umgang mit diesen Substanzen zu vermeiden.
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