Kaum einmal gingen die Meinungen so weit auseinander als bei diesem Thema. Auf der einen Seite gab es die Position, dass Bauherrn und Architekten bei der Gestaltung ihrer Baulichkeiten möglichst wenig von Außen beeinflusst werden dürfen und sollten. Das Recht sich über Bauformen frei auszudrücken, sich dadurch zu realisieren, seinem Individuum und seiner Persönlichkeit Ausdruck zu verleihen, aber auch das Recht, architektonische Experimente zu wagen, dürfen nicht beschnitten werden. Auf der anderen Seite wurde hingegen darauf hingewiesen, dass es beim Bauen in den meisten Fällen um öffentlichen Raum geht, und dessen Gestaltung deshalb sehr wohl auch von einem gewissen Allgemeininteresse ist, wodurch wiederum eine Einflussnahme von Seiten Dritter eine bestimmte Berechtigung hat. Form und Gestalt der Bauten, die sich im Blickfeld aller befinden, prägen nun mal in entscheidendem Maße den öffentlichen Raum, in dem wir uns alle aufhalten und der uns allen irgendwie gehört.

Thomas Mahlknecht hat uns beispielhaft einige architektonisch gelungene und einige weniger gelungene Bauten gezeigt (aus Südtirol aber auch aus anderen Ländern). Dabei ging es in der Diskussion bald einmal um die Frage: Was ist Kitsch und was nicht? Für Thomas hat Kitsch immer etwas mit Verlogenheit und Unechtem (z.B. in den Materialien) zu tun. Kitsch wirkt sehr oft verharmlosend. Echtheit und Authentizität bleiben auf der Strecke. Auch billige Nachahmereien spielen dabei eine Rolle.

Muss aber Nachahmen in jeglicher Hinsicht schlecht sein? Das Abschauen von architektonischen Formgebungen kann durchwegs sehr nützlich sein. Bedeutende und äußerst wertvolle Siedlungslandschaften (Toskana z.B.) sind gerade so entstanden, indem auf möglichst einheitliche Bauformen größten Wert gelegt und ständig zurückgegriffen wurde.

Akzeptanzschwierigkeiten haben ganz allgemein Bauten, die nach Bauformen irgendwelcher fremder Baukulturen errichtet werden, ohne Bezug zur vorhandenen Siedlungstypologie. Andererseits sollte es auch wieder nicht darauf hinauslaufen, dass auf jegliches fremdländisches Element in der Architektur verzichtet werden muss. Besonders problematisch wird es allerdings, wenn es zu einem Vermischen, zu einem Sammelsurium verschiedenster Baustile kommt, vor allem wenn diese dann auch noch ohne schlüssiges Konzept ineinander greifen. Beispiele dafür sind leider in Südtirol zuhauf zu finden, vor allem in der Hotelarchitektur der letzten Jahrzehnte. Hotels mit zahlreichen Bauelementen mittelalterlicher Schlösser (Zinnen, Türme usw.), bei denen aber auch gleichzeitig antike Elemente auftauchen (Säulen sind sehr beliebt) sowie verschiedene Merkmale unserer heimischen bäuerlichen Architektur, sind über das ganze Land verstreut. Mittlerweile scheint aber ein gewisses Umdenken stattzufinden. In der Tourismusbranche selbst stößt diese Schlösschen-Hotelarchitektur zusehends auf weniger Zustimmung. Bei neuen Projekten geschieht es deshalb immer öfter, dass der Bauherr modernen, architektonisch gut durchdachten Bauformen den Vorrang gibt. Die Tourismuswirtschaft in Südtirol bemüht sich heute verstärkt, auch über die Architektur für Südtirol zu werben.

Aber auch die moderne Architektur stößt nicht bei allen auf ungeteilte Zustimmung. Ein klassisches Fallbeispiel moderner Architektur in Südtirol, bei dem sich die Geister scheiden, ist das Naturparkhaus in Villnöss. So sehr es von Seiten gewisser Architektenkreise gepriesen wird, so sehr wird es von anderen Personen kritisiert. Es ist wahrscheinlich der Kontrast den dieser Bau zu den vorherrschenden Bauformen in der unmittelbaren Umgebung darstellt, der viele Betrachter völlig konsterniert. Die Ablehnung dieses Bauwerks in seiner architektonischen Form ist jedenfalls sehr verbreitet in der Bevölkerung. Es ist unbestritten, dass sich der Bau sehr stark – sowohl in der Form als auch in den Baumaterialien – von den umliegenden Bauten abhebt, die einen nicht unwesentlichen Bestandteil einer noch relativ intakt erhaltenen Kulturlandschaft, wie sie für unsere Bergtäler noch vielfach typisch ist, bilden. Dabei gibt es doch auch einige Anlehnungen an die vorherrschende Höfearchitektur. So sind beim Naturparkhaus zwei Gebäude, ähnlich wie bei einem Paarhof, angeordnet. Weiters muss angeführt werden, dass es sich in diesem Fall um ein Gebäude handelt, das einen anderen Zweck zu erfüllen hat, als ein bäuerliches Gebäude. Wenn ein solcher Zweckbau in der für Villnöss üblichen Bauform errichtet worden wäre, würde das wiederum in einem gewissen Kontrast zu seiner Funktion stehen. Für viele Architekten würden wir uns damit in Richtung eines verlogenen Kitschbaus bewegen.

Ganz allgemein werden in der minimalistischen, modernen Architektur kaum oder keine dekorativen Elemente eingesetzt und die Fassaden weisen nur wenige gliedernde Strukturen auf Auch beim Bau in Villnöss ist dies der Fall. Für viele wirken derartige Gebäude als kalt, wenn nicht sogar abweisend. Für mein Dafürhalten allerdings mag es wohl im Bereich des subjektiven ästhetischen Befindens liegen, ob jemand die nüchterne, unverschnörkelte Linie am Bau bevorzugt oder ob er auch gewisse dekorative Zusätze befürwortet und daran Gefallen findet.

De gustibus non est disputandum.

Die Gefahr, dass man bei der Anwendung dekorativer Elemente in das Kitschige abrutscht, ist allerdings um ein Veilfaches größer, als wenn man völlig darauf verzichtet.

Bei einem weiteren Beispiel haben wir uns länger aufgehalten und zwar bei einem Wohnhaus im Ahrntal, das völlig in weiß gehalten ist und sich an den amerikanischen Villen-Baustil anlehnt. Architektonisch also sicherlich keine großartige Leistung. Es handelt sich um ein billiges Plagiat amerikanischen Baustils. Aber es sticht hervor im Dorfbild, zum einen weil es sich von den umliegenden Bauten in der Form relativ stark abhebt und zum anderen vor allem auch wegen dem durchgehenden weißen Anstrich. Auch dieser Bau hat große Diskussionen ausgelöst. Er wurde und wird nach wie vor viel kritisiert, einmal aus den oben genannten Gründen und zum Zweiten weil mit diesen Bauwerk Selbstdarstellung, Machtdemonstration, das Zeigen von Wirtschaftskraft u.Ä. in Verbindung gebracht wird. Eines ist dem Bauherrn sicherlich gelungen, nämlich mit seinem Bau aufzufallen und sich von den Nachbargebäuden klar abzuheben. Nun mag bei dieser Kritik auch eine gewisse Portion Sozialneid mitschwingen, aber die Kritik allein darauf zu reduzieren, würde der Situation ganz und gar nicht gerecht werden. Wenn jemand einen derartigen „Kitschbau“ realisiert, dann geht es ganz sicher nicht vorrangig um die Architektur. Auch bei den vorher beschriebenen romantisierten Hotelbauten geht es nicht um architektonische Ansprüche, sondern viel mehr um Werbeeffekte und wirtschaftliche Vorteile (derjenige der bescheidener und besonnener baut ist im Nachteil).

Individualismus, tun uns lassen zu können, was man will, die völlige Freiheit in der Architektur mögen auch einen gewissen Wert haben. Was dabei aber nicht zum Tragen kommt, das sind die gesellschaftlichen Werte, wir können auf diese Weise keine Kultur begründen, sondern zerstören nur die Landschaft oder sie verliert zumindest an Wert. (Thomas Mahlknecht)

Was macht nun einen qualitätsvollen Bau aus? Thomas unterstrich folgende Eigenschaften: Funktionalität, Ehrlichkeit, gesellschaftlicher Dienst, Ausdruck von gesellschaftlichem Interesse, Nachhaltigkeit (Dauerhaftigkeit, natürliche Baumaterialien, niedriger Energieverbrauch). Über diese Parameter lassen sich die gesellschaftlichen Werte in der Architektur ableiten.

Wie schafft man es aber, dass diese gemeinschaftlichen Werte in der Architektur zum Tragen kommen? Dies scheint in unserer liberalen Welt nicht so einfach zu sein. So lange es um Funktionalität oder auch um verschiedene Nachhaltigkeitsparameter geht, kann man sich noch vorstellen, dass dem gesellschaftlichen Interessen Rechnung getragen wird. Das Festlegen von ästhetischen Kriterien aber lehnen die meisten ab. Im ästhetischen Bereich dürfen Freiheit und Individualismus nicht beschnitten werden. Jedenfalls ist es fast unmöglich eine Instanz auszumachen, der man es zutraut, auf dieser Ebene regulativ zu wirken. Weder Politikern, Baukommissionen, Gestaltungsräten oder Nachbarschaftsbesprechungen würde man diese Aufgabe zutrauen. Die Folge wird sein, dass es eine gemeinsame Architektur in Zukunft wohl nicht mehr geben wird. Einheitliche Siedlungsformen, die ein Gebiet charakterisieren und somit auf gesellschaftlicher Ebene Identität stiftend wirken, werden in absehbarer Zeit der Vergangenheit angehören, mit Ausnahme jener Baukomplexe und -ensemble die wegen Denkmal-, Ensemble- und Landschaftsschutzvorgaben erhaltenen werden müssen. Regionale Besonderheiten in der Baukultur werden immer mehr in den Hintergrund treten, hingegen werden Bauformen, die auf dem gesamten Erdkreis zu finden sind, immer häufiger.

Dies kann bereits am Beispiel der großen Metropolen sehr gut beobachtet werden, wo eine erhebliche Einheitlichkeit bei der Bausubstanz feststellbar ist. Die Skyline der großen Städte ist überall auf der Welt sehr ähnlich. Die architektonischen Unterschiede bei Wolkenkratzern und Hochhäusern fallen in der Regel kaum ins Gewicht. Hier scheinen Individualismus und Gestaltungsfreiheit nicht gerade groß geschrieben zu sein. Das Kapital bestimmt die Bauformen und es fragt nicht, ob sie den Menschen gefallen oder nicht.

De gustibus non est disputandum.

(Diesmal aber aus einem anderen Grund).