Gleich zu Beginn des Diskussionsabends kamen von Seiten der Teilnehmer (vorwiegend von Seiten der Teilnehmerinnen) relativ differenzierte Eingaben. Bei allen Vorbehalten gegenüber dem Schützenwesen, wurden dennoch in der Rolle der Marketenderin interessante Aspekte ausgemacht. Für eine junge, schöne Frau geht es schon einmal darum, wie sie auf Männer wirkt, aber auch das Erleben von Tradition spielt eine Rolle und ein gewisser Unterhaltungsfaktor ist ebenfalls mit dabei.

Das Thema unseres Diskussionsabends im Februar lautete gleich wie der Titel einer kürzlich erschienenen Veröffentlichung über die Figur der Marketenderin. Das Buch haben die beiden Autorinnen Siglinde Clementi und Elisabeth Tauber geschrieben. Ihre unmittelbare Bereitschaft zum Freitagsalon zu kommen, hat es ermöglicht, dass wir über diese taufrische Publikation und die darin abgehandelte Problematik diskutieren konnten.

Ich werde in der nachfolgenden Zusammenfassung über den Diskussionsabend nicht jeweils anführen von wem welche Aussage stammt. Es sei aber darauf hingewiesen, dass der geschichtliche Part von Siglinde Clementi und der anthropologische von Elisabeth Tauber abgedeckt wurden. So ist es bereits bei der Erstellung der oben genannten Abhandlung erfolgt. Weiters sei vorweg genommen, dass die Thematik lediglich bezogen auf das Schützenwesen untersucht wurde, andere Traditionsvereine, wie z.B. die Musikkapellen wurden nicht mit einbezogen.

Die Anregung zu einer wissenschaftlichen Arbeit über die Marketenderinnen bei den Schützen kam von Seiten Kaslatter-Murs. Die Landesrätin hat ihrerseits auf gewisse Ereignisse reagiert, die sich im Vorfeld ergeben haben. Zum einen gab es die Diskussion über ein weibliches Mitglied der Schützenkompanie von Oberwielenbach und zum anderen die als Provokation aufgenommene Äußerung der Landtagsabgeordneten Julia Unterberger, dass die Marketenderinnen alle nur Huren seien.

Zur Geschichte der Marketenderin: Der Begriff stammt aus der Zeit des Spätmittelalters und der Frühneuzeit. Die Heere waren begleitet von einer Truppe von Menschen, die mit dem eigentlichen Kriegsgeschehen nichts zu tun hatten. Sie waren zuständig für die Versorgung der Soldaten und zwar in verschiedenster Hinsicht (Marketender kommt vom Italienischen mercatante oder mercante). Dieser Versorgungstrupp war zahlenmäßig ähnlich groß oder größer wie die Truppe der Soldaten selbst. Im Dreißigjährigen Krieg allerdings versorgten sich die Heere immer mehr durch Plünderungen, weshalb die Bedeutung der Marketender zurückging. Die Frauen, die diesen Tross begleiteten, wurden Marketenderinnen genannt; sie widmeten sich häufig der Prostitution. Der gesamte Versorgungstross (nicht nur die Frauen) wurde als ein liederliches Volk angesehen, ähnlich dem fahrenden Volk der Schauspieler. Ende des 18. Jahrhunderts, mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, änderte sich die Situation schlagartig, die Figur des Marketender brauchte es von nun an nicht mehr.

In Tirol etablierte sich die Figur der Marketenderin bei den Schützen im späteren Verlauf des 19. Jahrhunderts, nachdem auch schon in den Tiroler Freiheitskämpfen gegen die Franzosen einzelne Frauen eine gewisse Rolle gespielt hatten.

Bei der anthropologischen Sichtweise geht es darum, aufzuzeigen, wie die Rolle der Marketenderin von den betroffenen Frauen selbst wahrgenommen wird. Es geht also um die empathische Komponente, um das Selbstbild der Marketenderin. Zumeist sind es junge Frauen. Mitunter sind auch schon 13- oder 14jährige mit dabei. Ältere Marketenderinnen sind selten, aber es gibt sie auch noch mit 60 und mehr Jahren. Üblich ist allerdings die junge, unverheiratete Frau. Die Hauptfunktion der Marketenderin ist, Zierde für die männliche Schützenkompanie zu sein. Sowohl die Männer in der Kompanie als auch die Marketenderinnen selbst sehen dies so. Während die Schützen an sich Stärke und Schutzfunktion symbolisieren wollen, versinnbildlichen die Frauen das Schöne und Zierliche. Aber auch die Marketenderinnen wollen mit ihrem Auftreten klarstellen, dass sie zu ihrem Dorf und zu ihrer Kompanie stehen. Dieses Verständnis nehmen sie auch körperlich wahr, durch die Tracht und das Mitmarschieren.

Neben der Hauptfunktion als Zierde obliegen den Marketenderinnen noch einige weitere Aufgaben: Vereinslokal putzen, Bier holen, Knöpfe annähen u.ä. wie sie gerade in nationalistischen Vereinigungen als klassische weibliche Aufgaben angesehen werden.

Über die genannten patriotischen und heimatbezogenen Motive hinaus gibt es weitere Beweggründe, warum junge Frauen in der Rolle als Marketenderinnen Gefallen finden. Es hat eine gewisse Faszination für Frauen, mit zwanzig Männern durch die Straßen zu marschieren und sich auf Plätzen in Reih und Glied aufzustellen. Ihnen gilt, genauso wie den männlichen Schützen, die volle Aufmerksamkeit von Seiten der Zuschauer und Zaungäste. Marketenderinnen fühlen sich in keinster Weise den männlichen Mitliedern der Schützenkompanie untergeordnet. Im Gegenteil, sie fühlen sich als wichtiger Teil der Kompanie, die Konzentration im öffentlichen Raum ist auf sie gerichtet, wobei sich ein Gefühl der Freiheit einstellt. Positiv wird weiters empfunden, dass die männliche und die weibliche Rolle klar getrennt sind. Sie können dadurch (nach eigenen Aussagen) das Frau-Sein besser ausleben, als im wirklichen Leben.

Marketenderinnen werden von den Männern der Schützenkompanie natürlich auch hofiert. Bei den offiziellen Auftritten gibt es meistens noch ein Danach. Da kann es u.U. recht lustig zugehen und wenn dann noch Alkohol dazu kommt, kann das Reine der Tiroler Kultur schon mal etwas verfallen. So manche Tracht verrutscht einfach ein klein wenig. Die ehemalige Schützin aus Oberwielenbach hat jedenfalls die Aussage von Julia Unterberger bestätigt.

Frauen sind in der Schützenkompanie nach wie vor nur als Marketenderinnen akzeptiert, aber nicht als Schützen selbst. Sie haben kein passives Wahlrecht. In Oberwielenbach gab es zwar, wie bereits erwähnt, vor jüngster Zeit eine „Schützin“ in der Kompanie, aber nur für kurze Zeit, bis sie auf Geheiß des Landesverbandes ausgeschlossen wurde. Da half auch nicht, sich auf Giuseppina Negrelli zu berufen, die in der Vergangenheit mal ein Schützenkompanie in Welschtirol leitete. Tradition und ein klares Rollenverständnis der Geschlechter sind im Schützenwesen groß geschrieben.

Traditionsbewustsein, Identität bewahren und Stärke zeigen sind umso wichtiger für die Südtiroler Schützen, als es das unterjochte Südtirol ständig vor der italienischen Unterwanderung zu verteidigen gilt. Dies ist auch der Grund, warum die Südtiroler Schützen stärker politisiert sind als jene Nordtirols. Sie behaupten allerdings nicht unbedingt die Salurner Grenze; Autonomie und Euregio stellen für viele Schützen interessante Optionen dar.

Am ehesten nimmt noch die Figur der Katharina Lanz, das Mädchen von Spinges (die jungfräuliche Magd hat in der Zeit der Tiroler Freiheitskämpfe mit einer Gabel die Franzosen von der Kirche in Spinges ferngehalten), im Südtiroler Schützenwesen einen gewissen Stellenwert ein. Sie lebt nach wie in der Erinnerungskultur der Schützen (obwohl man nicht einmal genau weiß, ob es sie überhaupt gegeben hat); Giuseppina Negrelli hingegen wurde sehr schnell vergessen.

Grundsätzlich gilt, wenn eine Frauenfigur Erfolg haben will, dann muss sie auch ihrer Geschlechterrolle (Heirat, Kinder usw.) gerecht werden. Sonst wird sie nicht akzeptiert und wird aus der Erinnerung gestrichen.

Die Figur der Marketenderin hat es im 19. Jahrhundert noch gar nicht gegeben. Umso wichtiger wurde sie dann, als den Schützen ihre militärische Funktion genommen wurde. Damit bekamen plötzlich alle anderen Repräsentationsformen eine besondere Bedeutung.

Die Schützen sind in der heutigen Tiroler Gesellschaft gut integriert und etabliert. Sie erfahren die bestmöglichste Unterstützung von Seiten der Politik, der Institutionen und interessanterweise auch von der Kirche. Die Förderungen sind großzügig. Das Schützendasein kostet nämlich auch Einiges: für eine Schützentracht sind bis zu 6.000 Euro hinzulegen.

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass man heute wieder verstärkt auf die teueren und aufwendigeren, viel stärker barockartigen Trachten zurückgreift, die typisch waren im ursprünglichen Schützenwesen, als es noch ein städtisches Phänomen darstellte (Merkmal des städtisch liberalen Bürgertums, das das Recht besaß, eine Waffe zu tragen). Es gab daraufhin eine längere Zeit, in der das Schützenwesen mehr im ländlichen Raum angesiedelt war; in dieser Zeit fielen die Trachten einfacher aus.