Das Sozialwesen war noch nie Thema beim Freitagsalon, was nicht bedeutet, dass die sozialen Anliegen bis jetzt völlig untergegangen sind, aber als eigentliches Thema haben wir noch nie darüber gesprochen. Vielleicht war mit ein Grund die Tatsache, dass bis heute die sozialen Absicherungen nicht in Frage gestellt waren. Wir nahmen sie als selbstverständlich hin, und kamen gar nicht auf die Idee, dass es vielleicht morgen schon zu Einschnitten kommen könnte.
Seitdem nun immer klarer wird, dass Finanz- und Wirtschaftskrise unser gesamtes Gesellschaftssystem erreichen wird, ist mit großer Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass auch der Sozialbereich nicht völlig ungeschoren davonkommen wird, nur weiß bis heute niemand, wie weit er davon betroffen sein wird.
Es darf deshalb auch nicht weiter verwundern, wenn gerade in solchen Zeiten jene Stimmen wieder lauter werden, die immer schon unser soziales Netz als zu aufwendig und engmaschig betrachteten. Über dessen Finanzierbarkeit flammen nun neue Diskussionen auf. Auch bei unserem Diskussionsabend sind bereits in der Einführungsrunde Zweifel darüber und ganz generell Kritikpunkte an unserem sozialen Netz angesprochen und eventuell mögliche Alternativen und Auswege angedeutet worden.
Bevor wir uns aber voll in die Diskussion stürzten, hat unser geladener Gast noch viele Inputs für den Diskussionsabend geliefert. Elisabeth Thaler ist seit Jahren im Sozialwesen tätig und zwar bei der Bezirksgemeinschaft Eisacktal. Sie hat aber auch in den USA Berufserfahrungen gesammelt, dort allerdings im Schulbereich, was nicht heißen soll, dass sie nicht auch gleichzeitig Einiges über die sozialen Verhältnisse in diesem Land erfahren hat.
Als wichtigste Trends hierzulande zählte Elisabeth vor allem zwei auf:
- Einerseits muss bei weiten Teilen der Bevölkerung (Anteil steigend) eine zunehmende Verknappung bei den zur Verfügung stehenden Mitteln festgestellt werden. Arbeiter und Angestellte kommen immer schlechter mit ihrem Einkommen aus. Dies betrifft auch zusehends Familien mit zwei Einkommen. Dabei ist dieser Trend nicht nur bei uns spürbar, sondern auch im Ausland.
- Andererseits werden die Mittel, die der öffentlichen Hand für Sozialleistungen zur Verfügung stehen, immer spärlicher und es fällt immer schwerer die bisherigen sozialen Absicherungen zu gewährleisten. Dass die öffentliche Verwaltung zusehends stärker in Bedrängnis gerät, zeigt sich darin, dass es nicht gelungen ist, den Landessozialplan zu erneuern (es gilt nach wie vor jener der Jahre 2007 – 2009) oder z.B. auch in der Tatsache, dass das Budget des Behindertenzentrums Seeburg nicht mehr aufgestockt wurde, was in Wirklichkeit eine Reduzierung der Mittel bedeutet. Ganz allgemein kann deshalb angenommen werden, dass es in Zukunft schwieriger sein wird, Menschen in schwierigen Lebenslagen auffangen zu können.
Ein Weg, den die öffentliche Hand zusehends beschreitet, um diesen Entwicklungen zu begegnen, ist der der Auslagerung sozialer Dienstleistungen, und zwar vor allem an Genossenschaften, an verstärktem Bürgerengagement und Ehrenamt. Ob damit aber auch dieselbe Qualität der Dienste gewährleistet werden kann steht in den Sternen.
Von einigen Diskussionsteilnehmern wurden Initiativen in diese Richtung sehr stark befürwortet. Für sie ist das heutige Sozialsystem schlicht und einfach nicht auf Dauer finanzierbar. Sie sehen in einem aufgebauschten Sozialsystem vor allem politischen Opportunismus (Politiker, die sich damit ihre Stimmen sichern wollen). Dadurch wurden leider früher funktionierende soziale Netzwerke, aufbauend auf Verwandte, Bekannte und Freunde, immer mehr vernachlässigt; aber genau diese sollten wieder mehr gefördert und genutzt werden. Es wurde auch grundsätzlich in Frage gestellt, ob der Mensch überhaupt ein Recht auf soziale Betreuung hat.
Nicht alle in der Diskussionsrunde waren mit diesen Überlegungen einverstanden. Es herrschte zwar grundsätzliche Übereinstimmung darüber, dass die Hilfe durch Verwandte und andere nahe stehenden Personen, wieder mehr in Betracht gezogen und das diesbezügliche Potenzial besser genutzt werden sollte. Nicht alle möchten sich aber allein darauf verlassen. Was passiert z.B. mit all den Menschen, die nicht über ein derartiges Netz verfügen. Zu bedenken ist auch die Tatsache, dass die Familien heute viel kleiner sind, die Kleinsthaushalte zunehmen und die Bevölkerung immer älter wird. Eine soziale Absicherung auf dieser Schiene wird deshalb schon allein aus diesem Grund ein immer schwierigeres Unterfangen.
Die Berufung auf die Selbsthilfe wird vor allem bei den Besitzenden und Wohlhabenden geortet, bei Menschen, für die Grundsätze gelten, wie „jeder ist seines Glückes Schmied“ oder „wer sich nicht rechzeitig absichert, ist selber Schuld, wenn es schief geht“.
Diskutiert wurde weiters über die Aushöhlung der Arbeiterrechte und die schwindenden Gehälter. Seit den 80iger Jahren werden Arbeiter und Angestellte in ihren Rechten beschnitten. Die Lohnnebenkosten sind viel zu hoch, Das was auf dem Lohnzettel des Arbeiters verbleibt, ist zu wenig. Die arbeitende Bevölkerung gerät dadurch immer stärker in finanzielle und wirtschaftliche Bedrängnis. Wenn jemand lediglich 1.000 € für eine Vollzeitarbeit verdient und 700 € Miete für die Wohnung zahlen muss, dann ist das (bei allem Verständnis für Eigenverantwortung) nicht tragbar.
Es wäre höchste Zeit, die Lohnnebenkosten zu reduzieren; stattdessen sollten Vermögen, Kapitalerträge, produktiver Mehrwert und Ressourcen stärker besteuert werden.
Als weiteren Lösungsansatz für das Problem wurde die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommen erwähnt, womit eine Grundabsicherung garantiert werden soll.
Besonders achtzugeben ist auch darauf, dass Parallelstrukturen bei den Sozialdiensten aufgedeckt und abgeschafft werden.
Elisabeth Thaler hat dann noch einen kurzen Ausflug mit uns in die Vereinigten Staaten gemacht und deren Sozialsystem beleuchtet. Ihren Ausführungen zufolge scheint es doch nicht so im Argen zu liegen, wie dies bei uns vielfach angenommen wird. Sozialhilfe, Mietbeihilfe, Arbeitslosengeld, Arbeitseingliederungsprogramme, sozialen Wohnbau, Minimalpensionen gibt es auch dort, wenn auch vielleicht nicht in dem Ausmaß, wie bei uns. Besondere Absicherungen werden für Mütter mit Kindern und schwangeren Frauen gewährleitstet. Auch die öffentliche Schule muss nicht unbedingt schlechter abschneiden als die private (hängt ganz davon ab, wie reich der Bundesstaat ist). Dennoch muss festgestellt werden, dass Armut in den Vereinigten Staaten stärker spürbar ist, als etwa in Europa und die soziale Schere noch weiter auseinander klafft, als bei uns.
Stichwort sozialer Ausgleich: Ganz allgemein ist zu sagen, dass der große und noch immer weiter zunehmende Unterschied zwischen Arm und Reich wohl der Hauptgrund für die heute stärker zu Tage tretenden sozialen Problemen sein wird. Wenn es nicht gelingt, die Reichtümer dieser Welt besser zu verteilen, wenn nicht verhindert wird, dass eine immer dünnere Schicht über einen immer größeren Anteil dieser Reichtümer verfügt, dann wird auch kein soziales Netz (egal ob von öffentlicher oder privater Hand) die Verarmung immer breiterer Bevölkerungsschichten aufhalten können.
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