In diesem Wortspiel stecken zwei Fragen, denen sich die Ärzte heute stellen müssen.

  • Sind der Medizin mittlerweile überhaupt noch Grenzen gesetzt, oder hat sie für jedes Leiden, für jedes gesundheitliche Problem ein Gegenmittel parat? Dies wird nämlich vielfach von den Menschen erwartet. Die Ansprüche an die Medizin sind heute allumfassend. All zu sehr lebt der Mensch in der Illusion: „die Medizin wird das schon richten“.
  • Die zweite Frage hat viele Facetten: Wann soll sich die Medizin zurückziehen? Soll weiter geheilt werden, wenn keine Heilung mehr möglich ist? Wer befindet darüber, ob eine medizinische Behandlung fortgeführt werden soll oder nicht? Bei sehr alten Menschen stellt sich die Frage: welche medikamentöse Kuren noch angewandt oder welche Implantate eingebracht werden sollen? Wie ist mit gewissen Grenzbereichen in der Medizin umzugehen: Einsatz der Gentechnologie, Keimzellentherapien, künstliche Befruchtung, Leihmütter, Schönheitschirurgie? Soll alles, was machbar ist, auch angewandt werden?

Adolf Engl, Hausarzt und Vorsitzender der Akademie für Allgemeinmedizin, zeigte anhand einiger Beispiele auf, wie sich derartige Grenzfälle präsentieren können:

  • Menschen die von einer unheilbaren Krankheit heimgesucht werden, wollen mitunter nicht annehmen, dass der Medizin nach wie vor Grenzen gesetzt sind. Wenden sich verschiedenen alternativen Heilmethoden zu und können möglicherweise dem Tod doch nicht entrinnen. Der Mensch tut sich von Natur aus schwer, die Grenzen, denen nach wie vor die Medizin ausgesetzt ist, anzuerkennen. Es ist all zu menschlich, dass er alles versucht um sein Leben zu retten, das entspricht einfach seinem ganz natürlichen Lebenserhaltungstrieb. Dahinter steckt auch der Traum von der Unsterblichkeit. Wir leben vielfach mit der Vorstellung, dass wir unendlich sind. Das macht ein Stück unseres Glücksgefühls aus. Wir wollen nicht ständig mit dem Tod vor Augen leben; dadurch würde unsere Lebensqualität drastisch beschnitten.
  • Es gibt aber auch genau entgegengesetzte Fälle, in denen der Patient eine weitere Behandlung ablehnt. Dies kann verbal passieren, aber unter Umständen auch non verbal. In diesem Fall steht der Arzt vor der schwierigen Entscheidung, medizinische Behandlungen abzusetzen bzw. erst gar nicht zu beginnen oder eine Behandlung dennoch durchzuführen. Kann dem Willen eines Menschen, der nicht mehr geheilt werden möchte, entsprochen werden. Dahinter steckt auch die grundlegende Frage, ob Menschen mit allen Mitteln am Leben gehalten werden sollen, auch wenn keine Genesungsmöglichkeit mehr besteht. Die Medizin kann zwar die Lebenszeit verlängern, aber gleichzeitig auch das Dahinsiechen und das Leiden. Wäre in solchen Fällen nicht unter Umständen besser, wenn von Seiten der Medizin Grenzen erkannt und auch angenommen würden. Früher wurde unter der Ärzteschaft darüber kaum gesprochen. Heute hingegen gibt es Ärztezirkel, z:B. Ethikkaffees, in denen genau solche Fälle besprochen werden, um so die Ärzte in ihrer Entscheidungsfindung zu unterstützen.

Allgemein gültige Antworten wird es zu derartigen Fragen kaum geben, auch weil jeder Fall anders gelagert ist. Schließlich ist Medizin nicht gleich Medizin. Es gibt den Bereich der Allgemeinmedizin, der Spezialisten, der Vorsorgemedizin, der Palliativmedizin. Auch der Aufbau des Gesundheitssystems ist in den verschiedenen Ländern unterschiedlich. Während bei uns immer der erste Schritt zum Hausarzt ist, kann in Deutschland oder Österreich der Patient sich auch direkt an den Facharzt wenden.

Für jedes Leiden gibt es heute zahlreiche Gegenmittel und Behandlungsmethoden. Es besteht in einem gewissen Sinn geradezu ein Überangebot und oft verlangt der Patient selbst ganz bestimmte Behandlungen, die aber mitunter gar nicht so zielführend sind. Die Verwirrung ist groß oder wie es der chinesischen Philosoph Laotse ausgedrückt hat: „10.000 Dinge verwirren die Sinne“.

Über die Vorsorgemedizin wurde lang und ausführlich diskutiert. Die Vorsorgemedizin bringt bei Weitem nicht jene Resultate, die sie bringen sollte. Jährliche Mammografien oder Thorax-Röntgenuntersuchungen, Gastro-Untersuchungen (besonders in Japan, wo viel geräucherter Fisch gegessen wird und es deshalb verhältnismäßig häufig zu Krebserkrankungen im Verdauungstrakt kommt), Gebärmutterabstriche (viel wichtiger, um Gebärmutterkrebs vermeiden zu können, ist eine gute Hygiene) vermindern kaum die Krankheitsfälle. Bezüglich Mammografien heißt es z.B., dass das Risiko, bei der Autofahrt zum Krankenhaus einen Unfall zu haben, größer ist, als an Brustkrebs zu erkranken.

Es zeigen sich also in der Präventivmedizin ganz klare Grenzen auf, aber dennoch ist es äußerst schwierig, diese Voruntersuchungen abzuschaffen. Sie bauen bei den Menschen Ängste ab und geben Sicherheiten. Aufklärung über die Sinnlosigkeit zahlreicher Voruntersuchungen ist kaum wirksam. In Südtirol konnte festgestellt werden, dass nach einer Tagung über die Wirksamkeit von Vorsorge-Mammografien, die Untersuchungen um ein Drittel abgenommen haben. Nach einem halben Jahr aber schnellte die Zahl wieder auf ihren vorherigen Wert.

Sehr oft wird die heute wesentlich höhere Lebenserwartung der Menschen vorwiegend den Errungenschaften der modernen Medizin zugeschrieben. Deren Verdienst diesbezüglich ist aber gar nicht so hoch. Wissenschaftliche Studien haben dies gezeigt. Allerdings gehen deren Ergebnisse relativ weit auseinander: Der Beitrag der modernen Medizin für die höhere Lebenserwartung schwankt von 10 bis maximal 40 %. Es steht hingegen auf jedem Fall außer Zweifel, dass die heute in vielerlei Hinsicht besseren Lebensumstände (Ernährung, Hygiene, bessere Arbeitsbedingungen, usw.) eine viel größere Rolle in diesem Zusammenhang spielen.

Die „allwissende“ Medizin kann z.T. auch eine gegenteilige Wirkung auf den Gesundheitszustand der Menschen haben. Sie legen im Umgang mit Krankheiten vielfach ihre Eigenständigkeit völlig ab, und delegieren alles an das Gesundheitssystem. In ihrer Unbeholfenheit geht die Fähigkeit des Selbstheilens oft gänzlich verloren. Es kann auch vorkommen, dass der Mensch gerade wegen der guten Heilungsmöglichkeiten durch die moderne Medizin, von einem ungesunden Lebenswandel nicht abgeht, in der Hoffnung, dass der Arzt das dann schon wieder hinkriegen wird.

Sehr oft ist es unmöglich für den Arzt, auf den Lebensstil eines Patienten einzuwirken. Er sollte allerdings auch nie völlig die Hoffnung aufgegeben, ihn vielleicht doch noch im richtigen Moment zu erwischen und eine Abkehr von gewissen Praktiken zu erreichen.

Krankheit kann auf unterschiedliche Art und Weise definiert werden. Für manche ist Krankheit ein Fehler der Natur, für andere eine Ausgleichsmaßnahme des Körpers u.ä. Engl spricht von Störungen (Verdauungsstörungen, Störungen des Bewegungsapparates, es gibt auch Störungen bei der Zellteilung usw.). Die meisten Störungen kann der Körper selbst ausgleichen, bei gewissen muss nachgeholfen werden, damit sie der Körper wieder in den Griff bekommt. Die Medizin kann allerdings nichts gegen die Natur unternehmen. Der Arzt produziert an sich nichts, er kann nur über die Natur wirken. Wenn die Natur nicht mitspielt, ist jede Anwendung vergebens.

Auch der drohende Ärztemangel kam zur Sprache. Dies rührt allerdings nicht davon her, dass weniger Ärzte ausgebildet werden, sondern dass immer weniger Studienabgänger in der angewandten Medizin landen, sondern in der Forschung o.ä. Weiters ist von einer Feminisierung der Medizin die Rede, d.h. dass es immer mehr Ärztinnen gibt, die öfter Fehlzeiten aufweisen (Mutterschaft, auch Teilzeitarbeit ist bei Ärztinnen häufiger).

Wesentlich nachteiliger als ein Ärztemangel können sich mögliche Einsparungen auswirken, die morgen vielleicht auch das Gesundheitssystem erreichen und es besteht die Gefahr, dass es zu einer Zweiklassenmedizin kommt.

Schließlich tauchte noch die Frage auf, ob Frauen und Männer eine unterschiedliche Behandlung erfahren. Gerade bei Herzproblemen hört man immer wieder, dass Männer ernster genommen werden als Frauen, weshalb es bei Frauen öfter passiert, dass eine Infarktgefahr nicht rechtzeitig erkannt wird. Dies entspricht effektiv den Tatsachen, laut Engl hat dies aber nicht mit einer Benachteiligung der Frau zu tun, sondern vor allem damit, dass ein naher Infarkt bei Frauen viel schwieriger zu erkennen ist, da die Symptome sehr unterschiedlich sein können, und auch vielleicht weil Frauen schneller und öfter den Arzt aufsuchen, auch wenn keine akute Gefahr einer Erkrankung besteht.

Der soziale Status kann schon eher unterschiedliche Behandlungen zur Folge haben.