Die Teilnehmer der Diskussionsrunde waren gespannt darauf, zu hören was Josef Fulterer über das System Südtirol berichten wird. Man kennt ihn als kritischen Leserbriefschreiber, aber recht viel mehr wissen die meisten nicht über ihn. Fulterer ist nicht jemand, der das System Südtirol von Außen kritisiert. Er hatte in seinem Leben (mittlerweile ist er 73 Jahre alt) gar nicht so unwichtige Positionen bekleidet (Bürgermeister von Kastelruth, kommissarischer Verwalter der Gemeinde Kastelruth, Mila-Obmann, Obmann der Raiffeisenkasse Kastelruth). Als kritischer Geist tat er sich allerdings nie ganz leicht in diesen verschiedenen Funktionen, er wurde z.T. auch ganz einfach ausgebootet, aber er war immerhin bis noch vor Kurzem Obmann der Raiffeisenkasse Kastelruth.

Er hatte also genug Möglichkeiten das System kennen zu lernen. Obwohl das Funktionieren dieses System oft nicht seinen Einstellungen entsprach, trat er nicht einfach die Flucht aus den Institutionen an. Er versuchte aber dennoch seinen Meinungen und Überzeugungen treu zu bleiben und sie auch nicht hinterm Berg zu halten.

Die wichtigsten seiner Kritikpunkte am System Südtirol sind folgende:

  • Die Vorherrschaft einer Partei und immer desselben Personenkreises in einem Land bringt zwangsweise Abnutzungserscheinungen mit sich, Reibungen, die einer guten Verwaltung mit der Zeit immer mehr im Wege stehen.
  • Der Kitt für den Zusammenhalt der Volkspartei war bis heute die ethnische Frage und scheint es nach wie vor zu sein. Es gibt allerdings auch zusehends Anzeichen, dass dieser Kitt etwas abbröckelt (eindeutiges Zeichen dafür war der Verlust der absoluten Mehrheit bei den vergangenen Landtagswahlen).
  • Um heute die Leute an der Stange zu halten, wird immer mehr auf andere Methoden zurückgegriffen. Die wichtigste davon ist, dass diejenigen, die zum System stehen, reichlich belohnt, während die Aufmüpfigen abgestraft werden. Devotismus und Kriechertum sind immer mehr die Folge. Dieses System funktioniert nur, solange es sehr viel zum Verteilen gibt. In Zukunft könnten von diesem System aber immer weniger profitieren, dann verliert es die Mehrheit.
  • Mit kritischen Personen wird ein besonderer Umgang gepflegt; sie werden nicht ungern öffentlich blamiert, wenn das nicht hilft, folgen auch persönliche Attacken, die von einer sachlichen Diskussion völlig abweichen. Wenn solche Personen in irgendwelchen Institutionen oder Ämtern mitwirken, wird alles unternommen, damit ihnen Erfolge verwehrt bleiben: es gibt keinen politischen Rückhalt und auch kein Geld.
  • Durnwalder beherrscht die beschriebenen Methoden in Perfektion. Er muss in diesem Sinn als ein ausgesprochener Machtmensch angesehen werden. Zugute halten muss man ihm allerdings die Tatsache, dass er prinzipiell jeden Menschen anhorcht (egal ob dies auch reines politisches Kalkül ist oder nicht). Grundsätzlich ist er seinem Vorgänger und so manchem seiner derzeitigen Politikerkollegen in dieser Hinsicht und allgemein in seiner Offenheit um einiges voraus. Er ist wohl auch der einzige, der es schafft, gegenüber Athesia und Ebner-Klan einen gewissen Gegenpol darzustellen und mitunter auch Entscheidungen trifft, die den Ebners nicht gefallen.
  • Magnago seien seine Verdienste für Südtirol nicht abgestritten; seine Angst vor der Italienisierung der deutschen Südtiroler kam dem Land aber nicht nur zugute. Die Distanz, die er gegenüber Trient an den Tag legte, führte zu zahlreichen verpassten Chancen. Auch in der Wirtschaftsförderung (vor allem in der Industrie) war er all zu sehr auf Initiativen aus dem deutschen Ausland ausgerichtet. Einheimische Unternehmen wurden vernachlässigt.
  • Wir haben es auf politischer Ebene mit einem äußerst kompakten, wenn nicht geradezu geschlossenen System zu tun. (Dazu kommen noch die engen Verstrickungen mit der Wirtschaft. Durnwalder hat in dieser Hinsicht (aber nicht nur er) ein engmaschiges Netz aufgebaut. Mit den Größen aus der lokalen Wirtschaft pflegt er in der Regel recht gute Beziehungen.) Ein wirkliches politisches Gegenüber fehlt. Politische Ausreißer, die es klarerweise auch in anderen Ländern gibt, können aber in Südtirol genau aus den oben genannten Gründen nur viel schwerer korrigiert werden.
  • Eine entscheidende Rolle spielt weiters das Verlagshaus Athesia. Über weite Strecken beherrscht sie die Medienlandschaft in Südtirol und damit auch die Meinungsbildung. Vor allem bei den Wahlen trägt sie nicht unwesentlich zu den Wahlerfolgen der SVP bei. Die Berichterstattung ist vielfach sehr tendenziös auf die Parteipolitik und jener der Ebners zugeschneidert. Sie geben sich nicht nur mit wirtschaftlicher Macht zufrieden, sie mischen auch fleißig in der Parteipolitik mit und streben nach wichtigen und einflussreichen politischen Ämtern.
  • Die engen Verstrickungen zwischen der Partei und den einzelnen Wirtschaftsverbänden stellt ein eigenes Kapitel im System Südtirol dar. Die Verbände erhalten ansehnliche Förderbeiträge, damit werden sie abhängig und ruhig gehalten. Oft kommt noch dazu, dass namhafte Vertreter von Wirtschaftsverbänden auch in der Politik mitmischen und z.T dort ranghohe Positionen einnehmen und zwar ohne dass sie ihre Stellung bei ihren Verbänden aufgeben. Dies kann nie und nimmer einer Politik, die in erster Linie dem Allgemeinwohl verbindlich sein sollte, förderlich sein. eine Sonderstellung nimmt in diesem Verbandsreigen der Bauernbund ein. Der Bauernbund ist von der SVP völlig unterwandert. Die Gelder fließen reichlich; so kann sich der Verband Unterorganisationen leisten (wie die Bäuerinnen, die Senioren, die Jugend), ohne von deren Mitgliedern Mitgliedsbeiträge einzubeziehen. Auf die Stimmenanzahl der SVP scheint sich dies sehr positiv auszuwirken. SVP und Bauernbund sind ein Beispiel einer äußerst engen Symbiose, sie ziehen beide daraus erhebliche Vorteile. Wie weit sich dies dann allerdings mit anderen gesellschaftlichen Interessen vereinbaren lässt, ist wieder einmal zweitrangig.
  • Für die Arbeitnehmer gäbe es wohl Einiges zu kritisieren an diesem System, was sie schon auch immer wieder versuchen. Die Kritik verschallt allerdings vielfach im Nichts. Die Arbeitnehmer haben keine so straffe Verbandsorganisation, wie die Unternehmer. Ihren wichtigsten Vertretern, wenn sie einmal Regierungspositionen bekleiden, sind scheinbar die Hände gebunden (dort sind sie ja eindeutig in der Minderheit). So geht den Arbeitnehmern ein Großteil ihrer Durchschlagskraft verloren. Ihre Macht ist im Verhältnis zur effektiven Anzahl der Lohnabhängigen viel zu klein.
  • Josef Fulterer kritisiert weiters die relativ zahlreichen, größenwahnsinnigen, weil überdimensionalen und deshalb gescheiterten Vorhaben, wie der Landesschlachthof Vives oder die Gemeinschaftsställe im Abteital. Völlig überzogen sieht er Einrichtungen wie den Flughaben in Bozen oder das Fahrsicherheitszentrum in Pfatten. Möglicherweise wird Südtirol noch einmal arg ins Strudeln geraten mit den vielen Strukturen, die große Folgekosten verursachen, die es aber immer schwieriger sein wird abzudecken, sollte einmal das Geld weniger werden.
  • Ganz besonders zu kämpfen hatte Fulterer mit der Gastrofresh-Geschichte bei der Milkon. Diese Verkaufsstruktur verursacht zusätzliche Kosten, die schließlich zu niedrigeren Milchauszahlungspreisen für die Bauern führen. Die Prozesse, die aus diesem Grund von Seiten einiger Bauernvertreter gegen die Milkom und Gastrofresh angestrengt wurden, und für diese Vertreter allesamt verloren gingen, haben in Fulterer auch das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit arg erschüttert.

Nichtsdestotrotz gibt es für Josef Fulterer auch einige Lichtblicke für eine Weiterentwicklung in unserem Land. Die Chancen für die Zukunft sieht er vor allem in einer besser ausgebildeten Jugend, die sich auch leichter tun müsste, mitzudenken und eingefahrene Abläufe anzuprangern. Die kritische Masse in der Bevölkerung Südtirols müsste endlich die 10-20 % überschreiten; dabei muss sie nicht unbedingt mehr als 50 % ausmachen, um wesentliche politische Neuerungen erwirken zu können.

Äußerst wichtig ist weiters eine möglichst unabhängige Presse.

Keine all zu großen Ergebnisse erwartet er sich hingegen von der direkten Demokratie.

Stephan Lausch (von der Initiative für mehr Demokratie), der auch unter den Teilnehmern der Diskussionsrunde war, musste einräumen dass es nach dem verlorenen Referendum vor zwei Jahren immer schwieriger wird, auf die Regelung der direkten Demokratie einzuwirken. Dabei dürfte man genau diese nicht den maßgebenden Politikern überlassen, denn die haben gezeigt, dass sie für die direkte Mitbestimmung des Volkes nicht sehr viel übrig haben. Ein anderer Hebel, an dem man ansetzen könnte, wäre die Nominierung der Kandidaten für politische Wahlen. Sie sollte nicht allein in den Händen der Parteien liegen, sondern durch die Bevölkerung erfolgen.

Obwohl so mancher mit dem politischen System in Südtirol nicht zufrieden ist, wurde in der Diskussion doch allgemein anerkannt, dass in Punkto Lebensqualität Südtirol sehr gut dasteht. Die vergangenen Jahre waren allerdings auch von wirtschaftlicher Prosperität und einem satten Landeshaushalt geprägt. In Wachstumszeiten fallen eventuelle Fehlentwicklungen nicht so sehr auf. Sollten aber auf die fetten Jahre nun magere folgen, dann erst wird sich herausstellen, ob in Südtirol die richtigen Weichen gestellt wurden.