Sandra Divina – unser Gast des Abends – hat sich in ihrer Studienzeit in Verona, wo sie das Studium der Pädagogik absolvierte, auf die Suche nach der Freiheit des Denkens begeben. Von Anfang an beschäftigte sie der Zusammenhang Denken und Freiheit; es ging dabei um die Entdeckung der Freiheit auf theoretischer Ebene.
Schon in der Oberschule war ihr Lieblingsfach die Philosophie und auch bei ihrem Hochschulstudium hat sie die philosophische Richtung ausgewählt. Zentrale Bedeutung nimmt für jede/n, die/der sich für dieses Fach interessiert, die Ausbildung und das Üben des Denkens ein. Zwei Stunden am Tag sollte geübt werden. Denken ist Trainingssache. Wer ein/e Gelehrte/r werden will, kommt auch nicht an der Etymologie vorbei; mit der Begrifflichkeit, mit der Herleitung der ursprünglichen Bedeutung der Begriffe gilt es sich auseinanderzusetzen. Dies war für Sandra bereits wegen der Tatsache, dass sie zweisprachig aufgewachsen ist (italienischer Vater und deutsche Mutter) immer schon ein äußerst wichtiges Anliegen.
In Verona lernte Sandra das abendländische Denken näher kennen. Dabei muss festgestellt werden, dass es in der Geschichte der Philosophie fast nur Männer gibt. Die ganze Zeit herauf waren die Gedankengebilde der Männer wichtiger, als das was eine Frau denkt. Eine Frau hatte eigentlich gar nicht zu denken, tat sie es trotzdem und schrieb sie ihre Gedanken nieder, wurden ihre Texte in der Regel zerstört. Wenn es heute doch noch einige philosophische Werke von Frauen gibt, so hat dies damit zu tun, dass diese Texte anonym oder unter einem männlichen Decknamen verfasst wurden und so vor der Zerstörung gerettet werden konnten. In jedem Fall kann vorausgeschickt werden, dass das philosophische Denken der Frauen anders ausfällt als jenes der Männer. Beschäftigt sich eine Frau mit Platon, wird das Ergebnis immer ein anderes sein, als wenn ein Mann dies tut.
Dieser Tatsache versuchte eine Reihe von Philosophinnen in Verona auf dem Grund zu gehen. Das Vorhaben gelang auf der pädagogischen Fakultät, wo es vorrangig weibliche Dozentinnen gibt. Dabei stellte sich heraus, dass das Studium der „weiblichen“ Philosophie, der Werke von Philosophinnen, gar nicht so einfach ist. Die Geschichte der Philosophie von Frauen lässt sich kaum in Epochen einteilen, sie weist nicht einmal eine annähernd kontinuierliche Entwicklung auf. Es gibt jedenfalls kaum eine weibliche Genealogie in der „weiblichen“ Philosophie oder klare weibliche Autoritäten, wie es sie in großer Anzahl bei den Männern gibt.
Weiters kommt noch eine Eigenschaft hinzu, die scheinbar bei der Frau ausgeprägter ist als beim Mann, nämlich dass Frauen im Reproduktivem sehr gut sind, dabei aber das selbstständige Denken weniger pflegen.
Nun zum philosophischen Ansatz der Diotima-Frauen in Verona. Es gibt einige Säulen, die diese Philosophierichtung tragen, obwohl die Veroneser Philosophinnengemeinschaft ja nur von einem philosophischen Ansatz spricht. Es handelt sich auch in keinster Weise um eine Ideologie, da jede Frau eigentlich letztlich nur von ihren eigenen Erfahrungen ausgehen kann und muss. Diotima stellt keine politische Gruppe im herkömmlichen Sinn dar, der man beitreten kann. Diotima ist eine Aktivität, Diotima machen; sie basiert auf der dualen Beziehung zwischen Frauen.
Die persönliche Beziehung zu einer oder einigen Frauen.
Eine der wichtigsten Beziehungen zwischen Frauen ist jene zwischen Mutter und Tochter. Daraus wird das Konzept der weiblichen Autorität und des gegenseitigen Vertrauens entwickelt, das dann auch ganz allgemein für die Beziehungen unter Frauen wichtig ist. Es geht dabei nicht um eine so genannte wechselseitige Autorität. Nein, Autorität ist nicht umkehrbar. Autorität entsteht aus der Beziehung, sie wird gesucht und freiwillig anerkannt. Eine Frau vertraut sich einer anderen Frau an. Voraussetzung für eine Autorität ist, dass diejenige Person urteilsfreudig ist und klare Positionen vertritt. Autorität darf allerdings nichts mit Macht zu tun haben. Wird Macht ausgeübt, geht sie verloren.
Freies weibliches Denken
Über diese realen Beziehungen entsteht das freie Denken der Frauen, das von einem großen Realismus geprägt ist. Es wird vor allem darauf geachtet, was effektiv geschieht. Die Frau geht von den eigenen Erfahrungen, von sich selbst und vom Frausein aus. Ideologische Ansätze sind zu vermeiden, dürfen sich nicht über die realen Beziehungen legen. Ansonsten ist ein freies Denken nicht mehr möglich. Freiheit kann in diesem Fall nicht praktiziert werden.
Das Verhältnis zwischen Mann und Frau
Nun, es gibt unbestritten gewisse Unterschiede zwischen Mann und Frau (Fähigkeit Kinder zu gebären, unterschiedlich gelebte Sexualität). Wenn aber von Unterschieden gesprochen wird, geht es gleichzeitig immer auch um Gleichheit, genauso wie das, was als gleich angesehen wird, immer auch gleichzeitig unterschiedlich ist. Zwischen Mann und Frau verhält es sich ebenso. Frauen und Männer stellen weder einen Gegensatz dar noch etwas Gleiches. Weibliche Differenz leitet sich nicht vom Verhältnis der Frauen zu den Männern ab, sondern von deren Verhältnis zur Welt. Teil dieser Welt sind natürlich auch die Männer.
Ähnlich verhält es sich mit der weiblichen Freiheit, die nicht darin besteht gleich wie der Mann oder unterschiedlich vom Mann zu sein. Das Frau-sein bestimmt sich schlicht und einfach danach, was Frauen wollen und tun.
In den vorherrschenden Frauenbewegungen spiegeln sich nach wie vor sehr stark die beiden gegensätzlichen Positionen wider, die zum einen in einer Gleichstellungspolitik münden (die die totale Zusammenarbeit von Frauen und Männern fordert, etwa durch Quoten, Frauenförderpläne, paritätische Besetzung von Gruppen, zwangsweise geteilten Erziehungsurlaub usw.) und in ihrem anderen Extrem die totale Trennung anstrebt durch das Schaffen von separaten Räumen, etwa eine Frauenkirche, eigene religiöse Rituale, usw.
Das Verhältnis der Frau zur Welt
Es wird davon ausgegangen, dass das Patriarchat mittlerweile zu einem guten Teil abgebaut ist, dass sich diesbezüglich jedenfalls einschneidende Verbesserungen ergeben haben. Nicht weil das Patriarchat abgeschafft wurde, sondern weil die Frauen immer weniger an das Patriarchat glauben, sie glauben nicht mehr daran, dass sie weniger wert sind oder weniger können als die Männer. Damit fängt allerdings die Arbeit der Frauenbewegung erst richtig an. Durch das Auflösen des Patriarchats ist in gesellschaftlicher Hinsicht Einiges durcheinander geraten. Die alte Ordnung hat sich vielfach aufgelöst, an deren Stelle muss eine neue treten. Anders gesagt: „Weibliche Freiheit ist nicht das Ziel unseres politischen Handelns, sondern im Gegenteil die Voraussetzung dafür, dass wir handeln können. Die Arbeit der sexuellen Differenz ist keine Interessensvertretung der Frauen, sondern es ist eine Arbeit für die Welt.“
(Aus dem Vortrag von Antje Schrupp, „Die Lust an der Unterschiedlichkeit – eine Einführung in den Differenzfeminismus der Italienerinnen“)
Stichwort Differenzfeminismus: Wie weit sich die Männer im Freitagsalon, die doch relativ zahlreich vertreten waren, ein Bild von den Denkansätzen von Diotima machen konnten, ist nur schwer abzuschätzen. Jedenfalls schienen noch Zweifel darüber zu bestehen, ob diese Ansätze auch zu Verbesserungen in den Geschlechterbeziehungen führen könnten, wenn einer der männlichen Diskussionsteilnehmer zu folgendem Schluss kam: „Männer sollen also Frauen nicht verstehen, sie sollen sie nur bewundern.“
Ich möchte aber nicht mit diesem Satz enden. Vielleicht hätte besser eine Frau diesen Bericht geschrieben, aber nun habe ich ihn schon einmal aufgesetzt und nutze abschließend die Gelegenheit eine kurze persönliche Meinung wiederzugeben. Ich finde die Diotima-Philosophie eine äußerst interessante Weiterentwicklung der feministischen Gedankenwelt und wünsche mir, dass auch möglichst viele Männer sich mit diesen Überlegungen auseinandersetzen. Ich glaube, dass für den Mann einiges Interessantes dabei sein kann, und vielleicht gerade in Bezug auf die Beziehungen von Mann zu Mann, bei denen es ja auch nicht immer zum Besten steht.
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