Wenn die Nächte länger und die Tage kürzer werden und der Herbst ins Land zieht, schlagen selbst im sonnenverwöhnten Südtirol die zahlreicheren Regentage aufs Gemüt. So gesehen könnte man das erhöhte Schlafbedürfnis und den Heißhunger auf Kohlenhydrate wie Schokolade im Grunde als ein Relikt des Winterschlafes ansehen, der mit Veränderungen im Hormonspiegel, der Herzfrequenz und dem Blutdruck einhergeht und eine monatelange Ruhephase einleiten soll.
Dass der „Deprikiller“ Schokolade mit der Komponente Theobromin („Götterspeise“) zumindest bei Menschen, Ratten und Mäusen positive Wirkung zeigt, ist wohl einer der Hauptgründe für seine Beliebtheit. Für wissenschaftsaffine Zeitgenossen lassen sich aber auch ein paar physikalische Eigenschaften der Schokolade anführen, die bei der berufsbedingten Lektüre von Eric Dickinsons „An Introduction to Food Colloids“ ins Auge gesprungen sind.
Die Rheologie als „Fließkunde“ ist Grundlage vieler Prozesse in Fertigung und Qualitätssicherung. Das rheologische Verhalten von Dispersionen bestimmt neben den Kosten bei Herstellung, Handling und Transport in vielen Fällen auch die Qualität des Endproduktes. Für Lebensmittel und Kosmetikprodukte ist das Verformungs- und Fließverhalten vielfach sogar essentiell in Bezug auf die Ästhetik und „sinnliche Ausstrahlung“ des Endzustandes. Das „Feel“ einer Kosmetik-Lotion oder die Konsistenz von Ketchup sind oftmals verantwortlich für Top oder Flop im Verkauf.
Nicht nur für Schokolade-Enthusiasten ist die Art und Weise des „Mundfeelings“ ein wichtiger Aspekt. Ein großer Teil davon hängt mit den rheologischen Änderungen durch das Schmelzen des Fettes im Mund zusammen. Vom Prozess-Standpunkt aus steht die Forderung nach freiem Fließen bei hohen Scherraten und vernachlässigbarem Fluss bei niedrigen. Schokolade sollte sich also prinzipiell scherverdünnend verhalten, also bei hohen Scherkräften eine niedrigere Viskosität zu zeigen. Im Mund soll Schokolade also dünnflüssig, in der Verpackung dickflüssig sein.
Warum sind nun die Kolloide und die Rheologie der Kolloide relevant für die Schokolade? Geschmolzene Schokolade ist eine komplexe Multiphasen-Flüssigkeit aus festen fettfreien Anteilen (ca. 70% Volumenanteil für Zuckergranulat und zerstampfte Kakao-Bohnen) und Kakao-Butter. Milchschokolade enthält zudem feste Milchbestandteile und Milchfett. Geschmolzene Schokolade verhält sich wie ein scherverdünnendes Nichtnewtonsches Fluid mit Fließgrenze. Die Viskosität lässt sich über die Zugabe von Kakao-Butter steuern. Weitaus kostengünstiger erreicht man dasselbe Ziel auch unter Zugabe von Lezithin oder eines anderen Emulgators, der aus kleinen Molekülen besteht. Generell reagieren die rheologischen Eigenschaften von Schokolade sehr sensibel auf Lezithin, welches zunächst die Viskosität und die Fließgrenze reduziert, bei höheren Konzentrationen aber wieder erhöht. Die optimale Menge für eine passende Rezeptur liegt bei weniger als einem Zehntel des Anteils von Kakao-Butter, welcher benötigt werden würde, um denselben Effekt zu erzielen. Wahrscheinlich adsorbiert Lezithin auf den Zucker-Partikeln und verhindet so wirkungsvoll, dass diese Agglomerate bilden.
Bei der International Confectionary Association (ICA, ehemals IOCCC) lassen sich verschiedene Standardmethoden zur Bestimmung der physikalischen Eigenschaften von Kakao und seinen Derivaten einsehen.
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