Die Schreckensmeldungen der letzten Tage über den Säuglingstod in Mainz führen es deutlich vor Augen: Hygiene und Reinlichkeit sind auch 160 Jahre nach Ignaz Semmelweis‘ wegweisenden Hygienevorschriften in Krankenhäusern nach wir vor eine große Herausforderung. EU-weit sterben pro Jahr 37.000 Patienten an einer im Krankenhaus zugezogenen bakteriellen Infektion, 111.000 an den indirekten Folgen.
Escherichia coli aus der Gattung Enterobacter. |
Das minutenlange Ritual der chirurgischen Händedesinfektion kostet Zeit und ist bei Millionen von chirurgischen Eingriffen im Jahr eben auch fehleranfällig.
Gregor Morfill hat mit seiner Gruppe am Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in Garching einen Plasmaspender entwickelt (G. E. Morfill et al., New J. Phys. 11, 115019 (2009), „Nosocomial infections – a new approach towards preventive medicine using plasmas“), der etliche der Probleme der klassischen Desinfektion nicht aufweist.
Ansicht des Plasmaspenders mit Blick auf die Elektroden. |
Über eine geerdete Maschenelektrode erzeugt eine Wechselspannung von 18 kV ein Plasma aus der Umgebungsluft, welches aus einer Reihe von angeregten Molekülen und Atomen besteht und innerhalb weniger Sekunden die Anzahl von Krankheitserregern wie Bakterien oder Pilze um mehrere Größenordnungen verringert. Dies geschieht sowohl über die reine mechanisch Zerstörung der Erreger durch das elektrostatische Feld aus auch die Einwirkung reaktiver Moleküle und Ionen (NO, OH, H2O2 und andere) auf Proteine, Fette, Membranen und DNA der Bakterien. Schließlich schädigt die entstehende UVC-Strahlung die DNA noch zusätzlich. Alle diese Einwirkungen nehmen keinen Einfluss auf die eukaryotischen Zellen des menschlichen Gewebes. Selbst hinter Textilien zeigt das Plasma Wirkung. Der Plasmaspender erfüllt alle Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation in Bezug auf Toxizität und elektromagentische Strahlung und sollte sich sogar auf die Desinfektion von chronischen Wunden übertragen lassen.
Dieses Desinfektionsprinzip lässt sich nicht nur auf chronische Wunden übertragen, es gibt da sogar schon eine Menge klinischer Studien zu, die sehr erfolgreich laufen. Ich glaube, wir werden davon in der Zukunft noch viel hören. 🙂
Als ehemaliger Plasmaphysiker freut mich das ganz besonders…
Was bedeutet „angeregte“ Moleküle? Dass ein elektrostatisches Feld Erreger zerstört, kann ich mir noch vorstellen. Aber wie sollen „reaktive“ Moleküle (was sind das überhaupt bzw. welche Eigenschaften haben diese?) auf ein Bakterium einwirken?
Desinfektionsmittel sind bei wiederholter Anwendung auch nicht wirklich hautfreundlich, deswegen zweifle ich auch etwas, ob diese Plasmadesinfektion auf die Dauer nicht auch Probleme macht.
Angeregte Moleküle sind solche, deren Energie größer ist die des Zustands mit der niedrigst möglichen Energie. Diese Anregung passiert im Fall des Plasmaspenders durch das elektrische Hochspannungsfeld. Prinzipiell hat ohne Fremdeinwirkung jedes physikalische System das Bestreben, den Zustand geringster Energie anzunehmen, was dazu führt, dass die überschüssige Energie abgegeben wird. Dieses Abgeben von Energie wiederum kann fatal für Bakterien sein.
Reaktive Moleküle besitzen mindestens ein ungepaartes Elektron und sind somit meist besonders reaktionsfreudig, weil sie eben nicht den energetisch günstigsten Grundzustand einnehmen. Stickstoffmonoxid etwa (NO) oder das Hydroxyl-Radikal (OH) sind Radikale, Wasserstoffperoxid (H2O2) ist ein sehr starkes Oxidationsmittel.
Alle 3 genannten Moleküle wirken wegen ihrer Reaktionsfreudigkeit direkt auf die Proteine der Bakterien (Oxidation der Sulfonylgruppen, Fragmentation von Peptiden, andere Proteinschäden), auf Lipide (etwa durch Lipidperoxidation, Produktion von Aldehyd), auf Membranen (durch erhöhte Hydrophobizität und reduzierte Membranfluidität) und auch direkt auf die DNA (Grundkomponenten werden angegriffen, es entstehen Schäden in der DNA).
Die eukaryotischen Zellen des menschlichen Gewebes bieten einen erhöhten Schutz im Vergleich zu einer prokariotischen Zelle eine Bakteriums, alle WHO-Grenzwerte werden zum Teil weit unterschritten. Somit entfällt der direkte schädigende Einfluss konventioneller Desinfektionsmittel, prinzipiell müsste das ganze Teil also mehr Vorteile als Nachteile haben.
sorry, noch eine Frage (hab wohl große Defizite in Chemie): „ungepaartes“ Elektron, was ist das? Vom Wort her dürfte dieses Elektron nicht paarweise vorkommen, spielt aber die geradzahlige bzw. ungeradzahlige Anzahl von Elektronen eine Rolle bezüglich Reaktivität?
Generell betrachtet man für den Ort eines Elektrons um Atome, Moleküle oder Ionen eine mathematisch berechnete Wahrscheinlichkeit für seinen Aufenthaltsort. Diese Orte für die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichten sind geometrische Gebilde, welche man unter dem Namen Orbital zusammenfasst (etwa http://de.wikipedia.org/wiki/Orbital ).
Jedes dieser Orbitale nimmt nun 2 Elektronen auf, die beide einen entgegengesetzten Elektronenspin (kann in etwa wie der klassischen Drehimpuls verstanden werden) besitzen und damit „gepaart“ sind. Weist ein Orbital nur ein einzelnes, also „ungepaartes“ Elektron auf, besitzt es einen energetisch ungünstigen Zustand. Das zu Grunde liegende Atom, Molekül oder Ion ist daher bestrebt, alle seine Orbitale mit zwei Elektronen zu füllen, was eben der beschriebenen Reaktionsfreudigkeit gleich kommt.
ich glaub es überrissen zu haben 🙂 …mit den Spins ist man hier wohl schon mehr in der Physik als in der Chemie. Danke.
Klingt sehr vielversprechend, aber obwohl ich schon vor Jahren erstmals davon gehört habe, ist mir bislang keine klinische Anwendung bekannt.
Was mir Sorgen macht ist due UVC Strahlung.
In einer Schicht im Krankenhaus desinfiziert man sich, wenn man sich an die Empfehlung (z.B vor und nach jedem Patientenkontakt) hälte an die hundert mal die Hände. Ist mit heutigen Methoden, durch Einwirk- und Trocknungszeit oft nicht praktikabel, aber bei der Plasmadesinfektion, die nur wenige Sekunden dauert schon.
Meine Befürchtung ist daher, dass die häufige Exposition gegenüber Strahlung, Ionen und Radikalen im Akutfall eine Art Sonnenbrand und langfristig, über ein Berufsleben, Hautkrebs verursachen kann.